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Nichtigkeit eines Schenkungsteuerbescheids

Ein Schenkungsteuerbescheid ist nichtig, wenn sich die festgesetzte Steuer nicht hinreichend bestimmt aus dem Bescheid ergibt.

Hintergrund: Ein Bescheid wird mit seiner Bekanntgabe wirksam. Die Wirksamkeit besteht auch im Fall der Rechtswidrigkeit, sodass ein rechtswidriger Bescheid wirksam ist und bleibt, wenn er nicht angefochten wird. Ein nichtiger Bescheid ist hingegen nicht wirksam und entfaltet keine Rechtswirkung.

Sachverhalt: Ein Vater schenkte seinem Sohn mehrere Beteiligungen an Personen- sowie an Kapitalgesellschaften, an denen der Vater jeweils zu 15 % beteiligt war; der Vater behielt sich den Nießbrauch vor. Der Vater übernahm im Schenkungsvertrag die Schenkungsteuer. Das Finanzamt setzte gegenüber dem Vater mit Bescheid vom 9.10.2009 Schenkungsteuer fest und gewährte dabei die schenkungsteuerlichen Begünstigungen für das Betriebsvermögen. Der Vater zahlte die Schenkungsteuer, der Bescheid wurde bestandskräftig. Am 26.10.2010 änderte das Finanzamt die Festsetzung und berücksichtigte die schenkungsteuerlichen Begünstigungen nur noch für die Kapitalgesellschaftsbeteiligungen, weil der Sohn nicht Mitunternehmer bei den Personengesellschaften geworden sei. Der Vater entrichtete die Nachzahlung, legte allerdings Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren erkannte das Finanzamt nun auch die schenkungsteuerlichen Begünstigungen für die Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nicht mehr an, weil der Vater nicht mit mindestens 25 % beteiligt gewesen war. Vater und Sohn erhoben anschließend Klage. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der Sohn legte nun Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Im Revisionsverfahren hob das Finanzamt nach einem entsprechenden richterlichen Hinweis am 10.5.2023 alle bisherigen Bescheide auf und erließ gegenüber dem Sohn einen neuen Bescheid, mit dem es die Steuer auf 15.800.340 € festsetzte. Von diesem Betrag zog das Finanzamt verschiedene Beträge, u. a. die bereits vom Vater gezahlten Steuern ab, und nannte dann in der Begründung des Bescheids eine „festgesetzte Steuer“ in Höhe von 6.829.463,31.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Revision des Sohns statt:

  • Der während des Revisionsverfahrens am 10.5.2023 ergangene Bescheid wurde zum Gegenstand des Revisionsverfahrens.
  • Der Bescheid vom 10.5.2023 ist nichtig, da aus ihm nicht eindeutig hervorgeht, in welcher Höhe Schenkungsteuer gegen den Sohn festgesetzt worden ist. Ein Bescheid leidet an schweren und offenkundigen Mängeln und ist deshalb nichtig, wenn er inhaltlich nicht so bestimmt ist, dass ihm hinreichend sicher entnommen werden kann, was vom Steuerschuldner verlangt wird.
  • Der sog. Tenor des Bescheids, der die Hauptaussage trifft, steht im Widerspruch zur Begründung des Bescheids. Denn im Tenor wurde eine Schenkungsteuer von 15.800.340 € gegen den Kläger festgesetzt, während in der Begründung eine „festgesetzte Steuer“ in Höhe von 6.829.463,31 € genannt wurde. Für den Sohn war damit nicht erkennbar, in welcher Höhe Schenkungsteuer gegen ihn festgesetzt worden ist.
  • Zudem ließ der Bescheid nicht erkennen, dass die festgesetzte Schenkungsteuer durch die Zahlungen des Vaters materiell erloschen ist. Vater und Sohn waren Gesamtschuldner, so dass die Zahlungen des Vaters an das Finanzamt zum Erlöschen der Schenkungsteuer führten und dies auch zugunsten des Sohns wirkte. In dem Bescheid wurden zwar die Steuerzahlungen des Vaters abgezogen; hierdurch wurde aber nicht hinreichend deutlich, dass dies zum Erlöschen der gegen den Sohn festgesetzten Steuerschuld geführt hat.

Hinweise: Der nichtige Bescheid war zwar nicht wirksam, wurde aber aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit aufgehoben. Der BFH brauchte nicht zu entscheiden, ob die schenkungsteuerlichen Begünstigungen zu gewähren waren. Da auch die vorherigen Bescheide aufgehoben worden waren – und zwar vom Finanzamt während des Revisionsverfahrens –, wurde im Ergebnis keine Schenkungsteuer festgesetzt.

Die Nichtigkeit eines Bescheids kann auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist geltend gemacht werden. Ist der Bescheid jedoch nicht nichtig, sondern nur rechtswidrig, bleibt der rechtswidrige Bescheid bestehen und ist wirksam, wenn der Steuerpflichtige nicht innerhalb der Einspruchsfrist Einspruch eingelegt hat. Im Zweifel sollte daher bei einem Bescheid, der nichtig sein könnte, auch rechtzeitig Einspruch eingelegt werden, um so im Fall der bloßen Rechtswidrigkeit eine Änderung zugunsten herbeiführen zu können.

BFH, Urteil vom 8.11.2023 – II R 22/20; NWB

Bekanntgabe von Steuerbescheiden im sog. Zentralversand

Die für die ordnungsgemäße Bekanntgabe eines Steuerbescheids erforderliche Aufgabe zur Post ist seitens des Finanzamts nachzuweisen, und zwar auch dann, wenn die Bescheide in einem Druckzentrum im sog. Zentralversand gedruckt und dann einem Postdienstleistungsunternehmen zwecks Auslieferung übergeben werden. Dieser Nachweis kann dadurch geführt werden, dass der konkrete Bescheid eine Identifikationsnummer ausweist, der einem Druckauftrag zugeordnet werden kann und der sich in einer Postgebührenabrechnung wiederfindet.

Hintergrund: Ein Bescheid gilt grundsätzlich drei Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Mit Ablauf des Tags der Bekanntgabe beginnt die Einspruchsfrist. Geht es um die Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung, beginnt mit Ablauf des Tags ihrer Bekanntgabe die Klagefrist.

Sachverhalt: Der Kläger war Rechtsanwalt in Hamburg. Das Finanzamt übersandte ihm einen Feststellungsbescheid, der das Datum vom 2.9.2021 trug. Der Bescheid wurde im sog. Zentralversand im Druckzentrum in B gedruckt; das Druckzentrum ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Der Kläger legte gegen den Bescheid am 7.10.2021 Einspruch ein und machte geltend, dass er den Bescheid erst am 7.9.2021 erhalten habe. Hierzu verwies er auf einen entsprechenden Eintrag in seinem Fristenkalender.

Entscheidung: Das Finanzgericht Hamburg (FG) wies die Klage ab:

  • Der Einspruch des Klägers ist erst am 7.10.2021 und damit nach Ablauf der Einspruchsfrist erhoben worden, die am 6.10.2021, einem Mittwoch, endete.
  • Der Bescheid wurde am 2.9.2021 zur Post aufgegeben und galt damit an sich drei Tage später, am 5.9.2021, als bekannt gegeben. Da der 5.9.2021 ein Sonntag war, verschob sich der Bekanntgabetag auf Montag, den 6.9.2021. Somit begann die Einspruchsfrist am 7.9.2021 und endete am 6.10.2021.
  • Die Aufgabe zur Post am 2.9.2021 ist vom Finanzamt nachgewiesen worden. Das Finanzamt hat die organisatorischen Abläufe zwischen dem Druckzentrum, dem Postdienstleistungsunternehmen C und der Deutschen Post AG umfassend dargelegt. Danach werden die Bescheide von dem Postdienstleistungsunternehmen C im Druckzentrum abgeholt. C übernimmt dann den weiteren Transport der Bescheide, indem er die Bescheide der Deutschen Post AG übergibt, die diese dann ausliefert.
  • Die vom FG vernommenen Zeugen konnten den Bescheid des Klägers anhand des angebrachten Barcodes nebst dazugehöriger Identifikationsnummer einem Druckauftrag im Druckzentrum und einer Postgebührenabrechnung zuordnen. Aufgrund dieser Abrechnung stand fest, dass der Bescheid tatsächlich gedruckt und kuvertiert worden ist. Auch die Abholung des Bescheids im Druckzentrum durch die C ist nachgewiesen worden, da die Post von Freitag bis Montag täglich von C abgeholt wird und die C einen Transportbegleitschein vorlegen konnte, nach dem am 2.9.2021 insgesamt 397 Postkisten im Druckzentrum abgeholt wurden.
  • Steht danach die Aufgabe zur Post am 2.9.2021 fest, gilt der Bescheid als am 6.9.2021 bekannt gegeben, da der 5.9.2021 ein Sonntag war. Diese Bekanntgabevermutung hat der Kläger nicht widerlegt. Zwar hat er einen Fristenkalender mit dem Eintrag „7.9.2021“ vorgelegt; aber er hat nicht den Briefumschlag aufgehoben, in dem sich der Bescheid befunden hat und aus dem der Poststempel ersichtlich wäre.

Hinweise: Aktuell häufen sich die Entscheidungen, in denen es um die Bekanntgabe von Bescheiden geht. Hintergrund ist die Unzuverlässigkeit des Postverkehrs, die dazu führt, dass Briefe nicht an jedem Werktag ausgeliefert werden oder dass Briefe länger als drei Tage unterwegs sind. Sollte die gesetzliche Vermutung einer Bekanntgabe drei Tage nach Aufgabe zur Post kippen, müsste ggf. in jedem Fall ermittelt werden, wann der Bescheid zur Post aufgegeben und wann er ausgeliefert worden ist. Dies wäre praktisch nicht umsetzbar.

Für die Praxis empfiehlt es sich, darauf zu achten, ob der Bescheid innerhalb von drei Tagen nach dem Datum des Bescheids eingegangen ist. Falls nicht, sollte der Einspruch dennoch so frühzeitig eingelegt werden, als wäre der Bescheid innerhalb von drei Tagen nach Aufgabe zur Post eingegangen; ein Einspruch kann unbürokratisch per E-Mail eingelegt werden. Außerdem sollte stets auch der Briefumschlag aufgehoben werden.

Quelle: FG Hamburg, Urteil v. 13.4.2023 – 5 K 59/22; NWB

Bekanntgabefiktion für Steuerbescheide gilt auch bei nicht täglicher Postzustellung

Die gesetzliche Fiktion, nach der ein Steuerbescheid drei Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, ist auch dann anwendbar, wenn innerhalb des Dreitageszeitraums die Post an zwei Tagen nicht zugestellt worden ist, weil es sich um einen Sonnabend und Sonntag handelte, an denen die Post nicht ausgetragen wird.

Hintergrund: Nach dem Gesetz gilt ein Bescheid am dritten Tage nach Aufgabe zur Post durch das Finanzamt als bekannt gegeben, es sei denn, er ist zu einem späteren Tag oder gar nicht zugegangen. Mit Ablauf des Tags der Bekanntgabe des Bescheids beginnt die Einspruchsfrist oder – bei Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung – die Klagefrist. Beide Fristen betragen einen Monat.

Sachverhalt: Der Kläger hatte gegen seinen Steuerbescheid Einspruch eingelegt. Das Finanzamt wies den Einspruch mit einer Einspruchsentscheidung, die das Datum 28.1.2022 (Freitag) trug, zurück. Der Kläger erhob hiergegen Klage; die Klage ging am 3.3.2022 beim Finanzgericht ein. Er machte geltend, dass die Einspruchsentscheidung erst am Donnerstag, dem 3.2.2022 bei seinem Bevollmächtigten eingegangen sei. Weder am Sonnabend noch am Sonntag werde im Bezirk seines Bevollmächtigten die Post ausgetragen.

Entscheidung: Das FG Münster (FG) wies die Klage ab:

  • Nach der gesetzlichen Bekanntgabefiktion gilt die Einspruchsentscheidung vom 28.1.2022 am 31.1.2022, einem Montag, als bekannt gegeben. Damit begann die Klagefrist am 1.2.2022 und endete am 28.2.2022. Die Klageschrift ist aber erst am 3.3.2022 bei Gericht eingegangen.
  • Die Einspruchsentscheidung ist am 28.1.2022 zur Post aufgegeben worden. Hierfür spricht die vom Finanzamt dargelegte Organisation der Postaufgabe innerhalb des Finanzamts sowie die beim Postdienstleister eingeholte Auskunft, die die entsprechenden Sendungsdetails benannt hat.
  • Der Kläger konnte keine Zweifel an einer Bekanntgabe am 31.1.2022 benennen. Allein ein abweichender Eingangsvermerk der Kanzlei des Bevollmächtigten auf der Einspruchsentscheidung genügt nicht, zumal nicht klar ist, welcher Mitarbeiter den Eingangsvermerk angebracht hat.
  • Die Zweifel ergeben sich auch nicht daraus, dass die Post am Sonnabend, dem 29.1.2022, sowie am Sonntag, dem 30.1.2022, nicht ausgetragen worden ist. Denn zwei zustellfreie Tage stellen keine atypische Konstellation dar, die gegen die Dreitagesfiktion sprechen. Zudem hat der Postdienstleister eine Zustellquote von 95,5 % für eine Postzustellung am zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Tag nachgewiesen.

Hinweise: Das FG Berlin-Brandenburg hat vor kurzem in einem vergleichbaren Fall entgegengesetzt entschieden und die Dreitagesfiktion abgelehnt, wenn die Post nur an fünf Tagen pro Woche ausgetragen wird. Die Zweifel an der Dreitagesfiktion rühren daher, dass die Post nicht mehr durchgängig an sechs Tagen pro Woche ausgetragen wird, sondern zunehmend nur noch an fünf Tagen pro Woche. Das Finanzgericht hat im aktuellen Fall die Revision zugelassen, so dass bei Einlegung der Revision der Bundesfinanzhof über die Anwendbarkeit der Dreitagesfiktion in Fällen der nur eingeschränkten Postzustellung entscheiden muss.

Nicht erörtert hat das Finanzgericht die Frage, ob der Bevollmächtigte ein Posteingangsbuch geführt und in diesem den Posteingang mit dem 3.2.2022 eingetragen hat oder ob der Briefumschlag, in dem sich die Einspruchsentscheidung befand, aufgehoben worden ist. Denn mit einem Posteingangsbuch und einem Briefumschlag, der z.B. einen Poststempel vom 1.3.2022 enthält, können Zweifel an der Dreitagesfiktion begründet werden.

Quelle: FG Münster, Urteil v. 11.5.2023 – 8 K 520/22 E, #Rev. zugelassen; NWB

Änderung eines Steuerbescheids wegen widerstreitender Steuerfestsetzung

Hat ein Einspruch des Steuerpflichtigen Erfolg, weil das Finanzamt einen Sachverhalt fehlerhaft beurteilt hat, kann das Finanzamt die steuerlich zutreffenden Folgen in einem anderen Bescheid, z.B. für ein anderes Jahr, ziehen und die Steuerfestsetzung zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern. Erfolgt diese nachteilige Änderung aber nicht nachträglich, sondern bereits vor der zugunsten vorgenommenen Änderung des fehlerhaften Bescheids, muss der fehlerhafte Bescheid bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung, die den nachteiligen Bescheid betrifft, geändert oder aufgehoben werden, und diese Einspruchsentscheidung muss innerhalb eines Jahres nach Aufhebung des fehlerhaften Bescheids ergehen, falls bereits die reguläre Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Hintergrund: Wird aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid erlassen, aber anschließend mit Erfolg angefochten, kann das Finanzamt aus dem Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der widerstreitenden Steuerfestsetzung nachträglich die richtigen steuerlichen Folgen ziehen und einen entsprechenden Steuerbescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen ändern oder erlassen. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für den zu ändernden Bescheid ist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden.

Streitfall: Die Klägerin verkaufte im Jahr 2007 landwirtschaftlich genutzte Grundstücke und erklärte die Verkäufe nicht in ihrer Steuererklärung für 2007. Das Finanzamt erließ den Steuerbescheid für 2007 daher ohne Ansatz eines Veräußerungsgewinns. Die Steuererklärung für 2008 gab die Klägerin im Jahr 2009 ab. Nachdem das Finanzamt von den Grundstücksverkäufen erfahren hatte, änderte es den Steuerbescheid für 2007 und erfasste einen Veräußerungsgewinn. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, dass der Veräußerungsgewinn wegen eines abweichenden Wirtschaftsjahres je zur Hälfte im Jahr 2007 und im Jahr 2008 zu versteuern sei. Während des Einspruchsverfahrens gegen den Steuerbescheid 2007 änderte das Finanzamt zunächst den Steuerbescheid für 2008 am 15.9.2014 und setzte den Veräußerungsgewinn zur Hälfte an. Zwei Tage später, am 17.9.2014, änderte es den Steuerbescheid für 2007 zugunsten der Klägerin und setzte dort den Veräußerungsgewinn nur noch zur Hälfte an. Die Klägerin legte Einspruch auch gegen den Steuerbescheid für 2008 ein. Am 18.11.2016 wies das Finanzamt den Einspruch gegen den Steuerbescheid für 2007 und am 13.12.2016 den Einspruch gegen den Steuerbescheid für 2008 als unbegründet zurück.

Entscheidung: Der BFH verwies die Sache, die den Einkommensteuerbescheid 2008 betraf, an das Finanzgericht (FG) zur weiteren Aufklärung zurück:

  • Zwar kann das Finanzamt nachträglich aus der zugunsten des Steuerpflichtigen erfolgten Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen in einem anderen Steuerbescheid ziehen und diesen zu Lasten des Steuerpflichtigen ändern. Im Streitfall ist aber keine nachträgliche Änderung des Bescheids für 2008 erfolgt, sondern der Bescheid für 2008 wurde bereits am 15.9.2014 und damit vor der zugunsten des Steuerpflichtigen erfolgten Änderung des Bescheids für 2007 (am 17.9.2014) geändert. Am 15.9.2014 lag somit noch kein Widerstreit vor, der zu einer Änderung berechtigt hätte.
  • Diese vorab erfolgte nachteilige Änderung des Bescheids für 2008 ist aber unschädlich, wenn der rechtswidrige Bescheid für 2007 zugunsten des Steuerpflichtigen geändert wird, bevor die Einspruchsentscheidung gegen den nachteiligen Bescheid für 2008 ergeht. Denn durch die Einspruchsentscheidung wird der angefochtene Bescheid für 2008 quasi aktualisiert. Im Streitfall war diese Voraussetzung gegeben; denn der Bescheid für 2007 wurde am 17.9.2014 und damit vor der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung für 2008 geändert, die am 13.12.2016 erfolgt ist.
  • Allerdings war die vierjährige Festsetzungsfrist für 2008 am 15.9.2014 bereits abgelaufen, da sie am 31.12.2013 geendet war (Abgabe der Steuererklärung für 2008 im Jahr 2009, so dass die vierjährige Frist am 1.1.2010 begann und am 31.12.2013 endete).
  • Deshalb greift die spezielle gesetzliche einjährige Ablaufhemmung in einem Fall der vorab erfolgten nachteiligen Änderung nur dann, wenn die Einspruchsentscheidung für den Bescheid der nachteiligen Steuerfestsetzung 2008 innerhalb der Jahresfrist erlassen wird, d. h. innerhalb eines Jahres nach Änderung des Steuerbescheids für 2007 am 17.9.2014. Dies war im Streitfall nicht zu bejahen, da die Einspruchsentscheidung erst am 13.12.2016 erlassen wurde und nicht bis zum 17.9.2015.
  • Denkbar ist aber, dass die Klägerin eine leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, da sie den Veräußerungsgewinn gar nicht erklärt hat. In diesem Fall würde eine fünfjährige Festsetzungsfrist statt der vierjährigen Festsetzungsfrist gelten. Die Festsetzungsfrist für 2008 würde dann bis zum 31.12.2014 laufen, so dass die Änderung am 15.9.2014 rechtzeitig erfolgt wäre. Auf die Änderungsmöglichkeit wegen einer widerstreitenden Steuerfestsetzung käme es dann nicht an.

Hinweise: Der Fall betrifft die sog. widerstreitende Steuerfestsetzung. Das Verfahrensrecht will widersprüchliche (widerstreitende) Steuerfestsetzungen verhindern. Hat z.B. der Einspruch des Steuerpflichtigen gegen den Steuerbescheid 2020 mit der Begründung, die Einnahmen seien ihm bereits 2019 zugeflossen, Erfolg gehabt, soll das Finanzamt anschließend den Bescheid für 2019 zuungunsten des Steuerpflichtigen ändern können und die Einnahmen im Bescheid für 2019 erfassen; hierzu hat es selbst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung für 2019 noch ein Jahr Zeit. Der Steuerpflichtige soll auf diese Weise an seinem Vorbringen festgehalten werden können.

Quelle: BFH, Beschluss v. 12.5.2022 – VI R 20/19; NWB

Zustellung von Steuerbescheiden in der Schweiz

Einkommensteuerbescheide können an Steuerpflichtige, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, erst für Veranlagungszeiträume ab dem 1.1.2018 unmittelbar durch die Post zugestellt werden. Denn erst ab dem 1.1.2018 gilt ein entsprechendes Abkommen zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland. Vor dem 1.1.2018 war eine Zustellung nur durch öffentliche Bekanntmachung möglich.

Hintergrund: Die Wirksamkeit eines Steuerbescheids setzt u. a. die Bekanntgabe an den Steuerpflichtigen oder an dessen Bevollmächtigten voraus. Im Inland wird ein Steuerbescheid grundsätzlich durch einen einfachen Brief bekannt gegeben. Eine besondere Form der Bekanntgabe ist die Zustellung, die förmlich erfolgt, z.B. durch eine Postzustellungsurkunde, durch ein Empfangsbekenntnis oder durch eine öffentliche Zustellung, bei der ein Aushang im Finanzamt erfolgt.

Streitfall: Der Kläger hatte seit 2013 einen Wohnsitz nur noch in der Schweiz. In den Streitjahren 2009 bis 2013 wurde er zusammen mit seiner Ehefrau veranlagt. Jedoch beantragte seine Ehefrau im Nachhinein für die Jahre 2009 bis 2012 die getrennte Veranlagung und für 2013 die Einzelveranlagung. Daraufhin hob das Finanzamt im Jahr 2017 die Zusammenveranlagungsbescheide für 2009 bis 2013 auf. Der Kläger hatte keinen Bevollmächtigten in Deutschland. Das Finanzamt ordnete im April 2017 die öffentliche Zustellung der Aufhebungsbescheide sowie der Einkommensteuerbescheide (getrennte Veranlagung bzw. Einzelveranlagung) für den Kläger an. Die Benachrichtigungen über die öffentliche Zustellung wurden am 25.4.2017 im Finanzamt ausgehängt und am 10.5.2017 wieder abgenommen. Der Kläger wurde mit Schreiben vom 25.4.2017 über die öffentliche Zustellung informiert. Der Kläger hielt die Bescheide wegen fehlerhafter Bekanntgabe für unwirksam.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies seine Klage ab:

  • Die Zustellung eines Bescheids durch öffentliche Bekanntmachung ist zulässig, wenn die Zustellung im Ausland unmittelbar durch die Post völkerrechtlich nicht zugelassen ist oder keinen Erfolg verspricht.
  • In der Schweiz können Steuerbescheide erst für Besteuerungszeiträume ab dem 1.1.2018 unmittelbar durch die Post zugestellt werden. Dies ergibt sich aus einem völkerrechtlichen Übereinkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz.
  • Im Streitfall war eine Zustellung für Besteuerungszeiträume vor 2018, nämlich 2009 bis 2013, durch die Post noch nicht möglich. Eine öffentliche Zustellung war somit zulässig. Die öffentliche Zustellung ist formell ordnungsgemäß erfolgt, so dass die Bescheide gegenüber dem Kläger wirksam geworden sind.

Hinweise: In der Praxis empfiehlt es sich bei Wegzug in das Ausland, einen Empfangsbevollmächtigten in Deutschland zu bestellen. Auf diese Weise werden Probleme bei der Bekanntgabe vermieden, und die Bescheide können fristgerecht angefochten werden. Anderenfalls bleibt zwar der Einwand, dass der Bescheid unwirksam ist, möglich; scheitert dieser Einwand aber wie im Streitfall, droht auch eine Versäumnis der Einspruchsfrist, wenn die Bekanntgabe als wirksam angesehen wird und kein Einspruch eingelegt worden ist.

Quelle: BFH, Urteil v. 8.3.2022 – VI R 37/19; NWB