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Klage gegen den Solidaritätszuschlag bei vorläufiger Festsetzung

Eine Klage, mit der die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags geltend gemacht wird, ist unzulässig, wenn der Solidaritätszuschlag unter Hinweis auf ein entsprechendes Musterverfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorläufig festgesetzt worden ist.

Hintergrund: Seit 1995 wird auf die Einkommensteuer ein Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 % erhoben, der den Finanzbedarf, der sich aus der Wiedervereinigung ergibt, abdecken soll. Der Solidaritätszuschlag ist keine Steuer, sondern eine sog. Ergänzungsabgabe, deren Aufkommen dem Bund zusteht. Der Bund verpflichtete sich im sog. Solidarpakt II, den Bundesländern mehr als 150 Mrd. € für die Bewältigung der finanziellen Folgen der Wiedervereinigung zur Verfügung zu stellen; der Solidarpakt II ist Ende 2019 ausgelaufen. Seit dem Veranlagungszeitraum ist der Solidaritätszuschlag aufgrund einer Gesetzesänderung für die Mehrheit der Steuerzahler weggefallen; der verbleibende Teil wird – je nach Einkommenshöhe – teilweise oder vollständig mit dem Solidaritätszuschlag belastet.

Sachverhalt: Die Kläger sind Eheleute, gegen die das Finanzamt Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für 2018 sowie als Vorauszahlungen für 2020 und 2021 festgesetzt hat. Dabei erfolgte die Festsetzung des Solidaritätszuschlags jeweils vorläufig unter Hinweis auf ein anhängiges Verfahren beim BVerfG. Die Kläger legten gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags Einspruch ein und machten die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags geltend.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) verwarf die Klage als unzulässig:

  • Den Klägern fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen den Solidaritätszuschlag, weil die Festsetzung des Solidaritätszuschlags wegen eines noch anhängigen Verfahrens beim BVerfG vorläufig erfolgt ist.
  • Die Rechte der Kläger sind durch den Vorläufigkeitsvermerk nämlich hinreichend gewahrt, da die Kläger den Ausgang des Verfahrens beim BVerfG abwarten können. Sollte das BVerfG die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags feststellen, kann die Festsetzung des Solidaritätszuschlags aufgrund des Vorläufigkeitsvermerks zugunsten der Kläger geändert werden. Die sich hieraus ergebende zeitliche Verzögerung ist von den Klägern hinzunehmen.
  • Sollte das BVerfG hingegen die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags bejahen, können die Kläger beantragen, dass der Vorläufigkeitsvermerk über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags aufgehoben und die Festsetzung für endgültig erklärt wird; anschließend können sie dann gegen die endgültige Festsetzung Einspruch einlegen und gegebenenfalls Klage erheben.

Hinweis: Für Steuerzahler ist das Urteil unerfreulich, weil sie sich bei einer vorläufigen Festsetzung des Solidaritätszuschlags erst einmal gedulden müssen, bis das BVerfG über das seit 2020 anhängige Verfahren zum Solidaritätszuschlag entscheidet. Seit geraumer Zeit dauern steuerliche Verfahren beim BVerfG oft viele Jahre.

Bei dem seit 2020 beim BVerfG anhängigen Verfahren handelt es sich um eine Verfassungsbeschwerde von Bundestagsabgeordneten der FDP. Die Abgeordneten vertreten die Auffassung, dass der Solidaritätszuschlag nicht über das Jahr 2019 hinaus fortgeführt werden darf, weil der sog. Solidaritätspakt II zur Finanzierung der Wiedervereinigung zum 31.12.2019 ausgelaufen ist.

Der BFH hat in einem Urteil aus diesem Jahr den Solidaritätszuschlag als verfassungsgemäß eingestuft. Der BFH hält es allerdings für denkbar, dass ab 2025 eine Aufhebung des Solidaritätszuschlags in Betracht kommt, weil der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe dann schon 30 Jahre lang erhoben worden ist.

Quelle: BFH, Urteil vom 26.9.2023 – IX R 9/22; Az. des Musterverfahrens vor dem BVerfG: 2 BvR 1505/20; NWB

Keine Pflicht zur elektronischen Klageerhebung einer Steuerberatungs-GmbH bis 31.12.2022

Eine Steuerberatungs-GmbH konnte im Jahr 2022 eine Klage oder Revision bei einem Finanzgericht bzw. dem Bundesfinanzhof (BFH) noch in Schriftform oder per Telefax wirksam erheben. Sie war – anders als ein Rechtsanwalt – nicht verpflichtet, den Schriftsatz als elektronisches Dokument einzureichen. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerberatungs-GmbH durch einen Geschäftsführer, der Rechtsanwalt und Steuerberater ist, vertreten wurde.

Hintergrund: Seit dem 1.1.2022 müssen Rechtsanwälte Klagen und Anträge und sonstige Schriftsätze bei einem Finanzgericht oder BFH als elektronisches Dokument übermitteln. Hierzu müssen sie das sog. besondere elektronische Anwaltspostfach, das sog. beA, verwenden.

Sachverhalt: Der Kläger klagte zunächst beim Finanzgericht und wurde dort durch die X-Steuerberatungs-GmbH vertreten, deren Geschäftsführer der Steuerberater und Rechtsanwalt A war. Im Klageverfahren trat für den Kläger der bei der X-Steuerberatungsgesellschaft angestellte Rechtsanwalt B auf, in dessen beA auch die Ladung zum Termin beim FG übermittelt wurde und der über sein beA auch die Übermittlung des klageabweisenden Urteils mittels elektronischen Empfangsbekenntnisses bestätigte. Gegen dieses Urteil erhob die X-Steuerberatungs-GmbH namens des Klägers per Telefax im Frühjahr 2022 Revision beim BFH. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Einlegung der Revision unwirksam gewesen sei, weil sie per Telefax eingelegt und nicht über das beA elektronisch übermittelt worden sei.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) bestätigte in einem sog. Zwischenurteil die Zulässigkeit der Klage:

  • Die Revisionsfrist begann mit der Zustellung des Urteils an die X-Steuerberatungs-GmbH. Der bei der X-Steuerberatungs-GmbH angestellte Rechtsanwalt B war aufgrund einer Anscheinsvollmacht berechtigt, die Zustellung des Urteils per beA entgegenzunehmen. Eine Anscheinsvollmacht ist zu bejahen, weil der B bereits im Klageverfahren für die X-Steuerberatungs-GmbH aufgetreten war und weil er zuvor die Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung per elektronischem Empfangsbekenntnis bestätigt hatte.
  • Die X-Steuerberatungs-GmbH konnte die Revision im Jahr 2022 noch per Telefax wirksam einlegen. Denn für Steuerberatungsgesellschaften bestand ebenso wie für Steuerberater noch keine Pflicht, Revisionen als elektronisches Dokument zu übermitteln.
  • Diese Pflicht zur elektronischen Übermittlung bestand auch nicht deshalb, weil der Geschäftsführer der X-Steuerberatungs-GmbH nicht nur Steuerberater, sondern auch Rechtsanwalt war und daher über ein eigenes beA verfügte. Zwar müssen Rechtsanwälte seit dem 1.1.2022 mit den Gerichten elektronisch über ihr beA kommunizieren; dies gilt aber nur dann, wenn sie unter ihrer Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ auftreten oder wenn es sich um eine sog. gemischte Berufsausübungsgesellschaft handelt, die aus Rechtsanwälten und Steuerberatern besteht und die über die Steuerberatung hinaus auch Rechtsberatung betreibt. Diese Voraussetzungen lagen bei der X-Steuerberatungs-GmbH, die ausschließlich steuerberatend tätig war, nicht vor.

Hinweise: Wäre der A, der Geschäftsführer der X-Steuerberatungs-GmbH, selbst gegenüber dem BFH als Rechtsanwalt und Steuerberater aufgetreten, hätte er die Revision elektronisch mittels beA übermitteln müssen. Die von ihm vertretene X-Steuerberatungs-GmbH wird hierdurch jedoch nicht verpflichtet, elektronisch zu übermitteln.

Anders wird dies voraussichtlich ab 1.1.2023 sein. Denn dann soll den Steuerberatern und Steuerberatungsgesellschaften das sog. besondere elektronische Steuerpostfach (sog. beSt) zur Verfügung gestellt werden, das dann auch benutzungspflichtig ist. Ob diese Bereitstellung des beSt zum 1.1.2023 funktioniert hat, bleibt abzuwarten.

Der BFH hat mit dem Zwischenurteil nur über die Zulässigkeit der Revision entschieden und diese bejaht. Über die eigentliche Streitfrage, die die Besteuerung der Veräußerung von sog. Kryptowährungen betrifft, wird der BFH erst im abschließenden Urteil entscheiden.

Quelle: BFH, Zwischenurteil v. 25.10.2022 – IX R 3/22; NWB

Unangemessen lange Verfahrensdauer eines Klageverfahrens im Steuerberaterprüfungsrecht

Die Klage eines bei der Steuerberaterprüfung durchgefallenen Rechtsanwalts gegen das Prüfungsergebnis dauert unangemessen lange, wenn die Schriftsätze ausgetauscht sind, das Gericht aber danach nicht mit der Terminierung zur mündlichen Verhandlung beginnt. Soweit eine unangemessene Verzögerung vorliegt und der Kläger eine Verzögerungsrüge erhoben hat, ist dem Kläger für jeden Monat der Verzögerung eine Entschädigung von 100 € zuzusprechen.

Hintergrund: Dauert ein Gerichtsverfahren unangemessen lange, steht dem Verfahrensbeteiligten grundsätzlich eine Entschädigung von 100 €/Monat zu.

Streitfall: Der Kläger war Rechtsanwalt, wollte aber auch Steuerberater werden und nahm zweimal vergeblich an der Steuerberaterprüfung teil. Gegen den Bescheid über das Nichtbestehen erhob er im Januar 2017 Klage und reichte eine 76-seitige Klagebegründung ein. In der Folgezeit wurden die gegenseitigen Schriftsätze ausgetauscht. Am 28.2.2019 erkundigte sich die Steuerberaterkammer als Verfahrensbeteiligte nach dem Verfahrensstand; das Gericht übermittelte eine Standardantwort, übersandte diese jedoch nicht dem Kläger. Am 30.10.2019 erhob der Kläger Verzögerungsrüge. Am 10.12.2019 lud das Finanzgericht die Sache zur mündlichen Verhandlung im Januar 2020. Die Klage wurde abgewiesen. Anschließend erhob der Kläger Entschädigungsklage beim Bundesfinanzhof (BFH) und beantragte eine Entschädigung von 900 € für eine Verzögerung von neun Monaten.

Entscheidung: Der BFH gab der Entschädigungsklage statt und sprach dem Kläger eine Entschädigung von 900 € zu:

  • Zwar genügt es im Finanzgerichtsverfahren grundsätzlich, wenn ein Fall, der nicht überdurchschnittlich schwer ist, nach zwei Jahren geladen wird. Dieser Grundsatz lässt sich auf Klagen im Bereich der Steuerberaterprüfung aber nicht übertragen, da das Bestehen einer Prüfung für einen Kläger eine hohe Bedeutung hat; denn ohne bestandene Prüfung kann er seinen Beruf nicht ausüben.
  • Die genaue angemessene Dauer hängt von der Komplexität des Falls, hier etwa vom Umfang der Klagebegründung mit 76 Seiten, und von der – hier erfolgten – Mitwirkung des Klägers ab. Der Streitfall war bereits angesichts der sehr umfangreichen Klageschrift überdurchschnittlich schwierig, hätte aber wegen der großen Bedeutung des Falls für den Kläger gleichwohl zügig bearbeitet werden müssen. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger bereits Rechtsanwalt war und daher auch ohne bestandene Steuerberaterprüfung steuerberatend tätig werden durfte.
  • Konkret ist es jedenfalls ab März 2019 zu einer unangemessenen Verzögerung gekommen, da im Februar 2019 die Steuerberaterkammer nach dem Sachstand gefragt hatte und anschließend nichts mehr geschah. Erst im Dezember 2019 erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung. Damit war für den Zeitraum vom März 2019 bis November 2019 eine neunmonatige Verzögerung anzunehmen.
  • Diese Verzögerung war durch die verschiedenen Erkrankungen der zuständigen Richterin nicht gerechtfertigt. Denn im Fall der Erkrankung müssen die Vertreter der Richterin einspringen, ggf. auch der Vorsitzende.

Hinweise: Eine Verzögerungsrüge wirkt grundsätzlich nur sechs Monate zurück, so dass die am 30.10.2019 erhobene Verzögerungsrüge an sich nur den Zeitraum ab 30.4.2019 bis einschließlich November 2019 erfassen konnte. Der BFH hielt es aber für sachgerecht, dem Kläger bereits ab März 2019 eine Entschädigung zuzusprechen. Denn der Kläger wollte erst einmal den Ausgang der Sachstandsanfrage der Steuerberaterkammer im Februar 2019 abwarten; die Standardantwort der Richterin war ihm aber nicht übermittelt worden, so dass dem Kläger nicht vorgehalten werden konnte, dass er seine Verzögerungsrüge erst im Oktober 2019 erhoben hat.

Eine Verzögerungsrüge darf auch nicht zu früh erhoben werden, also bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Verzögerung noch nicht zu befürchten ist. Anderenfalls ist die Verzögerungsrüge unwirksam.

Eine Verzögerungsrüge ist nicht auf finanzgerichtliche Verfahren beschränkt, sondern gilt für alle Gerichtszweige, also z. B. auch für Zivil-, Verwaltungs- oder Arbeitsgerichte.

Quelle: BFH, Urteil v. 23.3.2022 – X K 2/20; NWB