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Zulässigkeit eines inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses

Eine inkongruente, d.h. von den Beteiligungsquoten abweichende Vorabausschüttung kann steuerlich auch dann anzuerkennen sein, wenn sie in der Satzung nicht geregelt ist und wenn die Satzung auch keine sog. Öffnungsklausel enthält, nach der eine von den Beteiligungsquoten abweichende Gewinnverteilung durch Beschluss gefasst werden kann. Die steuerliche Anerkennung ist zu bejahen, wenn der Beschluss über die inkongruente Vorabausschüttung einstimmig gefasst wird und daher nicht angefochten werden kann und wenn der Beschluss nur punktuell gefasst wird, also nur für eine Gewinnvorabausschüttung, nicht aber für einen begrenzten oder gar unbegrenzten Zeitraum.

Hintergrund: Grundsätzlich wird der Gewinn einer GmbH nach den Beteiligungsquoten verteilt; ein mit 20 % beteiligter Gesellschafter erhält also 20 % des Gewinns und muss diese Ausschüttung versteuern. Im Gesellschaftsvertrag, d.h. in der Satzung der GmbH, kann jedoch ein anderer Gewinnverteilungsmaßstab festgesetzt werden.

Sachverhalt: Der Kläger war zusammen mit der T-GmbH an der K-GmbH mit jeweils 50 % beteiligt. Der Kläger war auch Alleingesellschafter der T-GmbH. Die Satzung der K-GmbH enthielt weder eine Regelung zur Gewinnverteilung noch eine sog. Öffnungsklausel über die Möglichkeit eines Beschlusses, dass eine von den Beteiligungsquoten abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann. Die aus dem Kläger und der T-GmbH bestehende Gesellschafterversammlung der K-GmbH fasste in den Streitjahren 2012 bis 2015 jeweils einstimmig Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, nach denen allein die T-GmbH einen Vorabgewinn erhalten sollte, nicht aber der Kläger. Das Finanzamt hielt die Beschlüsse für nichtig und rechnete dem Kläger die jeweils hälftige Vorabgewinnausschüttung als Kapitaleinkünfte zu.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der hiergegen gerichteten Klage statt:

  • Der Kläger hat keine offenen Gewinnausschüttungen erhalten, sondern nur die T-GmbH hat aufgrund der Gewinnvorabausschüttungsbeschlüsse Vorabausschüttungen erhalten. Daher muss der Kläger keine offenen Gewinnausschüttungen versteuern.
  • Die Beschlüsse über die inkongruente Gewinnverteilung waren zivilrechtlich wirksam. Zwar widersprachen die Beschlüsse der Satzung, da diese keine gesonderte Regelung zur Gewinnverteilung und auch keine Öffnungsklausel enthielt. Die Beschlüsse durchbrachen aber nur punktuell die Satzung, nämlich für den Gewinn des jeweiligen Jahres, auf das sich der Beschluss bezog. Eine solche punktuelle Durchbrechung der Satzung ist zulässig. Zwar kann die Durchbrechung angefochten werden; die Anfechtung ist aber nicht möglich, wenn der Beschluss wie im Streitfall einstimmig ergangen ist.
  • Der Kläger hat auch keine verdeckte Gewinnausschüttung erhalten, die darin zu sehen sein könnte, dass die T-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter er war, den gesamten Gewinn vorab erhalten hat. Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist ausgeschlossen, weil es sich um eine wirksame offene Gewinnausschüttung handelte, die auf dem jeweiligen Beschluss über die Vorabgewinnausschüttung beruhte.
  • Es lag auch kein Gestaltungsmissbrauch vor. Es war bereits kein steuerlicher Vorteil für den Kläger erkennbar; denn sollte der Gewinn eines Tages von der T-GmbH an ihn ausgeschüttet werden, müsste der Kläger ihn ebenso versteuern, wie er in den Streitjahren eine hälftige Gewinnausschüttung hätte versteuern müssen.

Hinweise: Auch wenn der Kläger das Verfahren gewonnen hat, wäre das Ergebnis ohne Rechtsstreit und damit einfacher zu erzielen gewesen, wenn in der Satzung eine Öffnungsklausel enthalten gewesen wäre.

Die Klage hätte keinen Erfolg gehabt, wenn es sich nicht jeweils um einen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschluss, sondern um einen dauerhaft wirkenden satzungsdurchbrechenden Beschluss gehandelt hätte, der für die Gewinne mehrerer Jahre hätte gelten sollen. In diesem Fall hätte der Beschluss notariell beurkundet und im Handelsregister eingetragen werden müssen.

Der BFH teilt nicht die Auffassung der Finanzverwaltung, die eine inkongruente Gewinnverteilung nur dann anerkennt, wenn sie entweder in der Satzung geregelt ist oder wenn die Satzung nachträglich und einstimmig geändert wird.

Quelle: BFH, Urteil v. 28.9.2022 – VIII R 20/20; NWB