Endgültige Festsetzung von Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019
Dem Finanzgericht Hamburg (FG) zufolge darf das Finanzamt die Festsetzung von Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 nicht mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen, wenn es eine vorläufige Festsetzung wegen des gesetzlichen Vertrauensschutzes ohnehin nicht mehr zulasten des Steuerpflichtigen ändern dürfte.
Hintergrund: Steuernachzahlungen und -erstattungen werden verzinst. Der bisherige Zinssatz von 6 % ist vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Juli 2021 für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 als verfassungswidrig angesehen worden. Er ist inzwischen durch einen neuen, niedrigeren Zinssatz in Höhe von 1,8 % jährlich ersetzt worden.
Streitfall: Das Finanzamt setzte gegenüber dem Kläger am 7.10.2019 Erstattungszinsen in Höhe von 6 % für den Verzinsungszeitraum ab 1.1.2019 vorläufig fest. Der Kläger legte gegen die Zinsfestsetzung Einspruch ein und beantragte die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks. Nachdem der Einspruch keinen Erfolg gehabt hatte, klagte er. Im Klageverfahren hob das Finanzamt die Zinsfestsetzung auf und setzte sie bis zu einer gesetzlichen Neuregelung aus. Der Kläger richtete seine Klage nun auch gegen die Aussetzung der Zinsfestsetzung.
Entscheidung: Das FG gab der Klage statt:
- Der Vorläufigkeitsvermerk war aufzuheben. Ein Vorläufigkeitsvermerk kann angebracht werden, wenn die verfassungsrechtliche Lage unsicher ist und wenn nach Klärung der verfassungsrechtlichen Frage der Bescheid geändert werden soll.
- Zwar war bei Erlass der Zinsfestsetzung im Oktober 2019 verfassungsrechtlich noch nicht geklärt, ob der Zinssatz von 6 % verfassungsgemäß ist. Selbst wenn das BVerfG aber den Zinssatz von 6 % als verfassungswidrig einstufen würde – was es im Jahr 2021 dann auch getan hat –, hätte das Finanzamt die Zinsfestsetzung zulasten des Klägers trotz des Vorläufigkeitsvermerks nicht mehr ändern dürfen. Denn vor einer nachteiligen Änderung ist der Kläger aufgrund des gesetzlichen Vertrauensschutzes geschützt; dieser besagt, dass eine Festsetzung nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen geändert werden darf, wenn das BVerfG eine Regelung als verfassungswidrig ansieht.
- Auch die im Klageverfahren erfolgte Aufhebung der Festsetzung der Erstattungszinsen und die anschließende Aussetzung der Festsetzung war rechtswidrig. Nach der Verwaltungsanweisung des Bundesfinanzministeriums durften die Finanzämter die Zinsfestsetzung nur im Fall einer erstmalig zu erfolgenden Festsetzung vornehmen, nicht aber bei einer bereits erfolgten Festsetzung. Damit hat das Finanzamt sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
Hinweise: Aufgrund der Klagestattgabe werden die Erstattungszinsen in Höhe von 6 % nun endgültig gegenüber dem Kläger festgesetzt.
Das Urteil des FG ist für Steuerpflichtige wichtig, die bereits eine Festsetzung von Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 in den Händen halten. Denn nach dem FG hat der Steuerpflichtige in diesem Fall einen Anspruch auf eine endgültige Festsetzung. Außerdem macht das FG deutlich, dass der gesetzliche Vertrauensschutz auch bei einem Vorläufigkeitsvermerk vor einer nachteiligen Änderung schützt.
Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume vor dem 1.1.2019 werden durch die Entscheidung des BVerfG ohnehin nicht berührt und bleiben in Höhe von 6 % jährlich bestehen. Denn das BVerfG hat die Verfassungswidrigkeit nur für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 ausgesprochen.
Quelle: FG Hamburg, Urteil v, 14.4.2022 – 1 K 126/20; NWB