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Umsatzsteuersatz bei Vermietung von Wohncontainern

Die kurzfristige Vermietung beweglicher Wohncontainer an Arbeitnehmer wird mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 % besteuert. Der ermäßigte Umsatzsteuersatz setzt nämlich nicht voraus, dass ein Grundstück zur Nutzung überlassen wird.

Hintergrund: Nach dem Gesetz wird die Umsatzsteuer auf 7 % ermäßigt, wenn Wohn- und Schlafräume zur kurzfristigen Beherbergung an Fremde vermietet werden. Die langfristige Vermietung von Grundstücken ist hingegen umsatzsteuerfrei.

Sachverhalt: Der Kläger war Landwirt. Er beschäftigte in der Spargelsaison ca. 100 Erntehelfer. Er vermietete den Erntehelfern für maximal drei Monate Räume in Wohncontainern, die nicht in das Erdreich eingelassen waren, sondern auf Steinsockeln standen. Er versteuerte die Mietumsätze mit einer Umsatzsteuer von 7 %. Das Finanzamt versagte den ermäßigten Umsatzsteuersatz mit der Begründung, der Kläger habe keine Grundstücke vermietet.

Entscheidung: Der BFH gewährte den ermäßigten Umsatzsteuersatz und gab der Klage statt:

  • Die gesetzliche Regelung zum ermäßigten Umsatzsteuersatz verlangt lediglich, dass Wohn- und Schlafräume zur kurzfristigen Beherbergung an Fremde vermietet werden.
  • Diese Voraussetzungen waren erfüllt. Bei den Arbeitnehmern handelte es sich um Fremde. Und die vermieteten Container stellten Wohn- und Schlafräume dar, die kurzfristig für drei Monate vermietet wurden.
  • Es ist nicht erforderlich, dass es sich bei den Wohn- und Schlafräumen um Grundstücke handelt. Zwar setzt die Umsatzsteuerfreiheit bei der langfristigen Vermietung die Überlassung von Grundstücken voraus; dies gilt nach dem Gesetzeswortlaut aber nicht beim ermäßigten Umsatzsteuersatz für die kurzfristige Vermietung.

Hinweise: Dem BFH zufolge läge ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität vor, wenn die Übernachtung in einem Hotel dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterläge, nicht aber die Übernachtung in einem Wohncontainer. Denn aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers befriedigen beide Übernachtungsarten den Bedarf an kurzfristiger Unterbringung und sind daher umsatzsteuerlich gleichwertig. von Grundstücken voraus; dies gilt nach dem Gesetzeswortlaut aber nicht beim ermäßigten Umsatzsteuersatz für die kurzfristige Vermietung.

Quelle: BFH, Urteil v. 29.11.2022 – XI R 13/20; NWB

Steuerpflicht von Prämien aus der sog. Treibhausgasminderungs-Quote

Halter von Elektroautos können im sog. Treibhausgasminderungs-Quotenhandel die CO2-Emissionseinsparung, welche durch den Antrieb mit Strom statt fossiler Kraftstoffe entsteht, dem Handel mit sog. Treibhausgasminderungs-Quoten anbieten und dadurch Prämienzahlungen erhalten. Für Privatpersonen unterliegt der Erlös nicht der Einkommensteuer. Für andere Bereiche können Prämienerlöse je nach Nutzung des Fahrzeugs steuerpflichtig sein. Hierauf macht das BMF aufmerksam.

Hintergrund: Seit dem Jahr 2022 können Halter von reinen Elektrofahrzeugen die mit ihrem Ladestrom verbundene CO2-Ersparnis nutzen, um sie gegen Prämienzahlungen dem Handel mit sog. Treibhausgasminderungs-Quoten anzubieten. Die Prämienzahlungen, die Halter von Elektrofahrzeugen dafür erhalten, können steuerpflichtig sein. Ausschlaggebend für die Steuerpflicht ist die Frage, ob es sich um ein Fahrzeug im Privatvermögen oder im Betriebsvermögen handelt und wer im Falle der Dienstwagengestellung an den Arbeitnehmer die Prämie beziehungsweise Quote erhält.

Dem BMF zufolge bedeutet dies im Allgemeinen:

Fahrzeug ist… Steuerliche Beurteilung
Betriebsvermögen Erhaltene Zahlungen sind Betriebseinnahmen und damit als Teil des Gewinns steuerpflichtig.
Privatvermögen Der Erlös aus dem Verkauf der THG-Quote ist keiner Einkunftsart zuzuordnen. Erhaltene Zahlungen sind daher „privat“ und unterliegen nicht der Einkommensteuer.
Dienstwagen Bei der Überlassung eines betrieblichen Fahrzeugs an Arbeitnehmer ist regelmäßig der Arbeitgeber der Fahrzeughalter. Die Prämie steht daher im Regelfall dem Arbeitgeber zu. Lohnsteuerliche Konsequenzen für den Arbeitnehmer ergeben sich dann nicht.Anders verhält es sich jedoch in den (Sonder-)Fällen, in denen der Arbeitnehmer die Prämie vereinnahmt, weil er Halter des Fahrzeuges ist oder weil der Arbeitgeber als Fahrzeughalter dem Arbeitnehmer eine Bestätigung für den Quotenhandel erteilt hat. Hier liegt steuerpflichtiger Arbeitslohn vor.Unabhängig davon, wer die Prämie erhält, gilt für die Dienstwagenbesteuerung: Wird die sog. Fahrtenbuchmethode angewendet oder greift die sog. Kostendeckelung, mindert die Prämie die Gesamtkosten des Fahrzeuges und reduziert damit in diesen Fällen den steuerpflichtigen Nutzungsvorteil aus der Fahrzeugüberlassung.

Hintergrund der THG-Quote:

Unternehmen der Mineralölwirtschaft, die in Deutschland Otto- oder Dieselkraftstoffe in den Verkehr bringen, sind nach Umweltrecht verpflichtet, die durch diese Kraftstoffe entstehenden Treibhausgasemissionen zu mindern (sogenannte THG-Quote). Jede Nichterfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen CO2-Minderung wird für jede Tonne CO2 mit einer staatlichen Abgabe sanktioniert.

Verpflichtete Unternehmen können die Quotenverpflichtung zum Beispiel durch Beimischung oder Verkauf von reinem Biokraftstoff oder eFuels sowie durch die Anrechnung von in Elektrofahrzeugen genutztem Strom erfüllen. Dabei können die Unternehmen ihre Verpflichtungen selbst erfüllen oder sie an Dritte übertragen („THG-Quotenhandel“). Die Anrechnung von Strom ist als eine mögliche Minderungsoption der Verpflichteten in der „Verordnung zur Festlegung weiterer Bestimmungen zur Treibhausgasminderung bei Kraftstoffen – 38. BImSchV“ geregelt.

Neben den öffentlichen Ladepunkten, ist auch Strom anrechenbar, der anderweitig zum Betrieb von Elektrofahrzeugen aus dem Stromnetz entnommen wurde. Die Teilnahme am Quotenhandel ist unabhängig davon, ob das Fahrzeug zum Betriebs- oder Privatvermögen gehört. Damit reicht das Spektrum der Quotenverkäuferinnen und Quotenverkäufer aus Ladestrom nunmehr von privaten Halterinnen und Haltern eines E-Fahrzeuges bis zu professionellen Betreiberinnen und Betreibern von Pkw-, Nutzfahrzeug- oder Busflotten. Der Nachweis über die Berechtigung zum Verkauf der Quote ist durch eine Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I (früher Fahrzeugschein) eines im Inland zugelassenen Fahrzeugs zu erbringen.

Mit Beginn des Jahres 2022 und aktuell bis zum Jahr 2030 kann somit jede Fahrzeughalterin und jeder Fahrzeughalter eines rein batterieelektrischen Fahrzeugs (E-Auto, E-Leichtnutzfahrzeug oder E-Bus) von der THG-Quote finanziell profitieren. Anspruchsberechtigt ist die beziehungsweise der im Fahrzeugschein eingetragene Halterin oder Halter. Die Zahlung kann aber auch an eine andere Person erfolgen, wenn diese nicht in der Zulassungsbescheinigung Teil I eingetragen ist, jedoch eine Bestätigung des Halters – und damit eine Art Freigabebescheinigung – vorlegt. Die ersten Auszahlungen sind bereits in 2022 erfolgt.

Quelle: BMF online, Meldung v. 28.10.2022; NWB

Direktanspruch des Unternehmers gegen das Finanzamt auf Erstattung der zu Unrecht an den Vertragspartner gezahlten Umsatzsteuer

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet, damit der EuGH die Voraussetzungen des sog. Direktanspruchs des Unternehmers gegen das Finanzamt klärt. Dabei geht es um die Frage, ob ein Unternehmer in Deutschland, der zu Unrecht Umsatzsteuer an seinen Vertragspartner gezahlt hat und diese wegen der Insolvenz seines Vertragspartners nicht zurückfordern kann, stattdessen einen entsprechenden Umsatzsteuerminderungsanspruch gegen sein Finanzamt hat (sog. Direktanspruch).

Hintergrund: Der EuGH hat den sog. Direktanspruch entwickelt. Danach kann sich ein Unternehmer, der irrtümlich Umsatzsteuer an seinen Vertragspartner gezahlt hat, diese Umsatzsteuer vom Finanzamt erstatten lassen, wenn sein Vertragspartner die Umsatzsteuer nicht mehr an ihn zurückzahlen kann, weil er zahlungsunfähig ist.

Sachverhalt: Die Klägerin war ein in Deutschland ansässiges Leasingunternehmen und tätigte insbesondere Sale-and-lease-back-Geschäfte. So erwarb sie von der ebenfalls in Deutschland ansässigen E-GmbH in den Jahren 2007 bis 2012 insgesamt sechs Motorboote, die sich jeweils in Italien befanden. Die Klägerin verleaste die Motorboote sodann an die E-GmbH. Die E-GmbH stellte für den Verkauf der Klägerin zu Unrecht Umsatzsteuer in Rechnung, denn der Leistungsort befand sich in Italien. Die Klägerin bezahlte die Rechnungen und machte die Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Das Finanzamt erkannte die Vorsteuer nicht an, weil die Umsatzsteuer zu Unrecht ausgewiesen worden war. Im Jahr 2014 geriet die E-GmbH in Insolvenz. Der Insolvenzverwalter widerrief den Umsatzsteuerausweis in den sechs Rechnungen und ließ sich vom Finanzamt die von der E-GmbH bereits abgeführte Umsatzsteuer erstatten. Er zahlte die Umsatzsteuer, die die E-GmbH von der Klägerin erhalten hatte, nicht an die Klägerin zurück. Die Klägerin beantragte daraufhin im Jahr 2017 beim Finanzamt, die Umsatzsteuer für 2007 bis 2012 in Höhe der an die E-GmbH gezahlten Umsatzsteuer niedriger festzusetzen oder hilfsweise zu erlassen. Dies lehnte das Finanzamt ab.

Entscheidung: Der BFH rief nun den EuGH an, damit dieser die Voraussetzungen des sog. Direktanspruchs klärt:

  • Zwar ist ein sog. Direktanspruch der Klägerin denkbar, da die Klägerin zu Unrecht Umsatzsteuer an die E-GmbH gezahlt hat und diese aufgrund der Insolvenz der E-GmbH von dieser nicht zurückerhält.
  • Allerdings ist es auch denkbar, dass die Klägerin gegen die E-GmbH keinen Rückforderungsanspruch hatte, sondern nur einen Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit italienischer Umsatzsteuer. In diesem Fall könnte sich die Klägerin die Vorsteuer in Italien vergüten lassen, wenn sich die E-GmbH in Italien umsatzsteuerlich registrieren würde. Der EuGH soll nun entscheiden, ob ein Direktanspruch der Klägerin besteht. Dabei soll er auch klären, ob die Klägerin zivilrechtlich gegen die E-GmbH auf Erteilung einer entsprechenden Rechnung hätte vorgehen müssen.
  • Ferner soll der EuGH klären, an wen das Finanzamt die Umsatzsteuer im Insolvenzfall zu erstatten hat. Zum einen hat der Insolvenzverwalter der E-GmbH aufgrund der Berichtigung der Rechnungen, die nun keinen gesonderten Umsatzsteuerausweis mehr enthalten, einen Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt. Zum anderen könnte die Klägerin einen Direktanspruch gegen das Finanzamt haben. Allerdings kann das Finanzamt nur einen der beiden Ansprüche erfüllen, so dass der EuGH klären soll, welcher der beiden Ansprüche vorrangig ist.

Hinweise: Die Probleme im Streitfall ergeben sich daraus, dass der Direktanspruch gesetzlich nicht geregelt ist, sondern sich nur aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt. So könnte es auch noch eine Rolle spielen, dass der Insolvenzverwalter die Umsatzsteuer in Italien hätte anmelden und abführen müssen, dies aber unterlassen hat. Damit könnte er eine Steuerhinterziehung begangen haben, die bei der Prüfung des Direktanspruchs zu berücksichtigen ist.

Quelle: BFH, Beschluss v. 3.11.2022 – XI R 6/21; NWB

Entstehung der Umsatzsteuer bei einnahmenabhängiger Ratenzahlung

Die Umsatzsteuer entsteht mit der Ausführung der Leistung, und zwar auch dann, wenn eine Ratenzahlung vereinbart wird und die Raten nur insoweit fällig sind, als der Schuldner Einnahmen erzielt. Eine Berichtigung der Umsatzsteuer zugunsten des leistenden Unternehmers wegen Uneinbringlichkeit des Entgelts ist bei der Vereinbarung einnahmeabhängiger Raten nicht möglich, weil das ausstehende Entgelt noch nicht fällig ist.

Hintergrund: Nach dem Gesetz entsteht die Umsatzsteuer im Rahmen der sog. Soll-Versteuerung mit der Ausführung der Leistung. Werden Teilleistungen erbracht, indem für bestimmte Teile einer wirtschaftlich teilbaren Leistung ein Entgelt gesondert vereinbart wird, entsteht die Umsatzsteuer mit der Ausführung der jeweiligen Teilleistung. Soweit ein Entgelt für eine ausgeführte Leistung bzw. Teilleistung uneinbringlich wird, kann der Unternehmer die Umsatzsteuer zu seinen Gunsten berichtigen.

Sachverhalt: Die Klägerin versteuerte ihre Umsätze nach der Soll-Versteuerung. Sie verpflichtete sich im November 2011 vertraglich gegenüber der A-GmbH zur Errichtung einer Photovoltaikanlage. Das Gesamtentgelt betrug 1.258.000 € zzgl. Umsatzsteuer. Die Klägerin und die A-GmbH vereinbarten im Vertrag eine Ratenzahlung: So sollten 450.000 € nach der Montage aller Module fällig sein, ein weiterer Teilbetrag von 450.000 € nach der Installation der Wechselrichterstation und die restlichen 358.000 € nach Ablauf eines zehnmonatigen Probebetriebs. Allerdings sollten die Raten nur insoweit fällig werden, als die A-GmbH die Raten aus den laufenden Einnahmen der Stromeinspeisung begleichen konnte. Die A-GmbH zahlte im Jahr 2011 nach der Montage aller Module einen Betrag von 77.350 € brutto (netto 65.000 €). Im Jahr 2012 zahlte die A-GmbH einen weiteren Betrag von 61.880 € brutto (netto 52.000 €). Die Klägerin meldete für die Streitjahre 2011 und 2012 nur den jeweiligen Nettobetrag in ihren Umsatzsteuererklärungen an. Das Finanzamt setzte hingegen für 2011 einen Umsatz von 450.000 € und für 2012 einen Umsatz von 808.000 € (450.000 € + 358.000 €) an.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die hiergegen gerichtete Klage ab:

  • Die Umsatzsteuer war mit der Ausführung der jeweiligen Teilleistungen entstanden, da die Klägerin und die A-GmbH Teilleistungen vereinbart hatten. Im Jahr 2011 hatte die Klägerin die Montageleistung ausgeführt, so dass für 2011 ein Entgelt von 450.000 € anzusetzen war. Im Jahr 2012 hatte die Klägerin die Installation durchgeführt und den Probebetrieb abgeschlossen. Zwar ist nicht zweifelsfrei, ob der Probebetrieb eine Teilleistung gewesen ist; sofern dies aber zu verneinen sein sollte, wäre das Entgelt für den Probebetrieb (358.000 €) als Zusatzentgelt für die Installation anzusehen.
  • Eine Berichtigung der Umsatzsteuer zugunsten der Klägerin wegen Uneinbringlichkeit des Entgelts war nicht möglich. Die Uneinbringlichkeit setzt zunächst voraus, dass ein fälliges Entgelt nicht bezahlt wird. Aufgrund der einnahmeabhängig ausgestalteten Ratenzahlung waren die ausstehenden Ratenzahlungen aber in den Streitjahren noch gar nicht fällig, so dass keine Uneinbringlichkeit anzunehmen war.

Hinweise: Der BFH hält an seiner aktuellen Rechtsprechung fest, nach der die Umsatzsteuer auch bei der Vereinbarung von Ratenzahlungen mit der Ausführung der Leistung entsteht. Dies gilt auch bei Teilleistungen und auch bei der Vereinbarung einnahmeabhängiger Raten.

Die Rechtsprechung führt dazu, dass der Unternehmer bei der Soll-Versteuerung die Umsatzsteuer faktisch vorfinanzieren muss, wenn der Vertragspartner nicht sogleich bezahlt. Der BFH sieht hierin keinen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des europäischen Umsatzsteuerrechts.

Bei der Ist-Versteuerung droht zwar keine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer, weil diese erst dann entsteht, wenn der Vertragspartner zahlt; allerdings ist die Ist-Versteuerung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, z.B. wenn der Umsatz im Vorjahr nicht höher als 600.000 € war oder wenn der Unternehmer Freiberufler ist.

Quelle: BFH, Beschluss v. 28.9.2022 – XI R 28/20; NWB

Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung als Schätzungsgrundlage

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung, die bei einer formell ordnungswidrigen Buchführung häufig als Grundlage für die Schätzung des Gewinns dient. Er hat deshalb das Bundesfinanzministerium (BMF) zum sog. Beitritt in einem anhängigen Revisionsverfahren aufgefordert, damit es zur Richtsatzsammlung Stellung nehmen kann.

Hintergrund: Ist die Buchführung nicht ordnungsgemäß, kann der Gewinn geschätzt werden. Eine der gängigen Schätzungsmethoden ist der sog. äußere Betriebsvergleich, bei dem die Gewinnaufschlagsätze anderer Unternehmer derselben Branche herangezogen werden. Diese Richtsätze werden in einer Richtsatzsammlung dokumentiert, die von der Finanzverwaltung herausgegeben wird.

Sachverhalt: Die Klägerin betreibt eine Diskothek, deren Buchführung in den Streitjahren 2013 und 2014 formell ordnungswidrig war. Der Außenprüfer nahm daher eine Nachkalkulation vor und verprobte die Getränkeumsätze; auf diese Weise ermittelte er einen Rohgewinnaufschlagsatz von 400 %. Die Klägerin klagte hiergegen. In der ersten Instanz zog das Finanzgericht die Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung heran und legte einen Rohgewinnaufschlagsatz von 300 % zugrunde, so dass die Klage nur teilweise Erfolg hatte. Hiergegen legte die Klägerin Revision beim BFH ein.

Entscheidung: Der BFH hat nun das BMF zum sog. Beitritt zum anhängigen Revisionsverfahren aufgefordert, damit das BMF das Zustandekommen der Richtsatzsammlung erläutern kann:

Zwar kann das Finanzamt bei fehlender Ordnungsmäßigkeit der Buchführung eine Schätzung vornehmen, und zwar auch durch einen sog. äußeren Betriebsvergleich, bei dem der Betrieb des Steuerpflichtigen mit den Betrieben anderer Unternehmer und den dort üblichen Rohgewinnaufschlägen verglichen wird. Ein derartiger Betriebsvergleich aufgrund der amtlichen Richtsatzsammlung ist von der Rechtsprechung bislang grundsätzlich als Schätzungsmethode anerkannt worden.

Allerdings ist von der Rechtsprechung bislang noch nicht geklärt, auf welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze beruhen, wie sie zustande kommen und ob dies ggf. die Tauglichkeit eines äußeren Betriebsvergleichs beeinträchtigen könnte.

Das BMF soll daher Stellung zu den Fragen nehmen,

  • welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden,
  • ob die regional zum Teil unterschiedlichen Fixkosten für z. B. Miete und Personal der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze entgegenstehen,
  • weshalb die Ergebnisse von Außenprüfungen bei Verlustbetrieben unberücksichtigt bleiben, obwohl auch Verlustbetriebe grundsätzlich einen positiven Rohgewinnaufschlagsatz ausweisen und
  • ob erfolgreiche Einsprüche gegen Änderungsbescheide, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, in die Richtsatzsammlung eingehen.

Außerdem ist bislang unklar, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, dass er das Ergebnis eines äußeren Betriebsvergleichs auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung, insbesondere auch die Daten, die in die Richtsatzsammlung einfließen, nachvollziehen und überprüfen kann.

Hinweise: Aufgrund des Beitrittsbeschlusses erhält das BMF jetzt eine beteiligtenähnliche Prozessstellung und ist gefordert, an der Aufklärung der vom BFH aufgeworfenen Fragen mitzuwirken. Ob der BFH die amtliche Richtsatzsammlung anerkennen wird oder ob er künftig höhere Anforderungen an die Datensammlung und Transparenz der Richtsatzsammlung stellen wird, ist derzeit offen.

Für die Steuerpflichtigen ist der Beitrittsbeschluss grundsätzlich positiv, weil die Anwendung der Richtsatzsammlung in der Praxis häufig zu hohen Hinzuschätzungen führt.

Quelle: BFH, Beschluss v. 14.12.2022 – X R 19/21; NWB