Mandant/Login

Umsatzsteuerliche Organschaft mit einer GmbH & Co. KG

Eine umsatzsteuerliche Organschaft kann nach geänderter Rechtsprechung nicht nur mit einer Kapitalgesellschaft als Organgesellschaft, sondern auch mit einer GmbH & Co. KG als Organgesellschaft geführt werden, selbst wenn nicht sämtliche Gesellschafter der GmbH & Co. KG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Allerdings muss die GmbH & Co. KG nach allgemeinen Grundsätzen finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein. Beruft sich eine GmbH & Co. KG auf die geänderte Rechtsprechung und möchte sie nunmehr als Organgesellschaft behandelt werden, setzt die Aufhebung der ihr gegenüber ergangenen Umsatzsteuerbescheide nach dem Grundsatz von Treu und Glauben voraus, dass der Organträger einer Erhöhung seiner Umsatzsteuerfestsetzung zustimmt und einen entsprechenden Antrag stellt.

Hintergrund: Eine umsatzsteuerliche Organschaft liegt vor, wenn ein Unternehmen (Organgesellschaft) organisatorisch, wirtschaftlich und finanziell in ein anderes Unternehmen (Organträger) eingegliedert ist. Die Umsätze des Organträgers und seiner Organgesellschaft werden dann zusammengefasst und nur vom Organträger versteuert, der auch die Vorsteuer der Organgesellschaft geltend macht. Die Organgesellschaft tritt gegenüber dem Finanzamt also nicht auf und schuldet keine Umsatzsteuer. Nach dem deutschen Umsatzsteuerrecht kann nur eine Kapitalgesellschaft eine Organgesellschaft sein.

Sachverhalt: Kommanditisten der GmbH & Co. KG waren der AV mit 80 % und der SA mit 20 %; Komplementärin war die A-GmbH, an der VA mit 80 % und SA mit 20 % beteiligt waren. VA verpachtete das Betriebsgrundstück und Maschinen an die GmbH & Co. KG. Die GmbH & Co. KG gab zunächst eine Umsatzsteuererklärung für 2010 ab und ging daher nicht von einer Organschaft mit VA als Organträger aus. Am 31.12.2011 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH & Co. KG eröffnet. Der Insolvenzverwalter gab im Jahr 2015 eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für 2010 mit Umsätzen in Höhe von 0 € ab und machte damit eine Organschaft mit VA als Organträger geltend. Dies lehnte das Finanzamt ab. Hiergegen klagte der Insolvenzverwalter der GmbH & Co. KG.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) verwies die Sache zur weiteren Aufklärung an das Finanzgericht (FG) zurück:

  • Entgegen dem deutschen Umsatzsteuerrecht kann auch eine GmbH & Co. KG als sog. kapitalistische Personengesellschaft eine Organgesellschaft sein; dies ergibt sich aus der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der die deutsche Regelung als europarechtswidrig ansieht.
  • Die GmbH & Co. KG war in das Unternehmen des VA eingegliedert: So bestand eine finanzielle Eingliederung, da VA die Stimmenmehrheit an der GmbH & Co. KG hielt. Die GmbH & Co. KG war auch organisatorisch in das Unternehmen des VA eingegliedert, da VA der einzige Geschäftsführer der A-GmbH war, die für die GmbH & Co. KG geschäftsführungs- und vertretungsbefugt war. Schließlich war die GmbH & Co. KG auch wirtschaftlich in das Unternehmen des VA eingegliedert, da VA die wesentlichen Betriebsgrundlagen an die GmbH & Co. KG verpachtet hatte.
  • Zwar könnte sich danach der Insolvenzverwalter der GmbH & Co. KG auf die geänderte Rechtsprechung berufen und eine Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids für 2010 beantragen, weil nur der VA als Organträger die Umsatzsteuer schuldet. Es droht dann aber ein Steuerausfall, weil die Umsatzsteuer des VA ohne dessen Zustimmung nicht mehr erhöht werden kann; VA ist vor einer Anwendung der geänderten Rechtsprechung nämlich durch den gesetzlichen Vertrauensschutz geschützt. Der Insolvenzverwalter der GmbH & Co. KG kann daher nur dann die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides für 2010 mit Erfolg durchsetzen, wenn VA einer Erhöhung seiner Umsatzsteuerfestsetzung für 2010 zustimmt.
  • Dieses Zustimmungserfordernis folgt aus dem Grundsatz von Treu und Glauben; denn es wäre treuwidrig, wenn sich die GmbH & Co. KG auf die neue Rechtsprechung stützen würde, um eine Aufhebung ihrer Umsatzsteuerfestsetzung für 2010 zu erreichen, während sich VA auf die bisherige Rechtsprechung und den sich hieraus ergebenden gesetzlichen Vertrauensschutz berufen würde, um eine Erhöhung seiner Umsatzsteuer zu vermeiden.

Hinweis: Der BFH hat die Sache an das FG zurückverwiesen, damit dieses prüft, ob VA seine Zustimmung zu einer Erhöhung seiner Umsatzsteuer 2010 erteilt. Dabei muss das FG vor allem prüfen, ob die Festsetzungsfrist für VA noch läuft, so dass er die Zustimmung noch erteilen kann, oder ob die Festsetzungsfrist für VA bereits abgelaufen ist. Dies hängt im Ergebnis davon ab, ob es bei Erlass des Umsatzsteuerbescheids 2010 für die GmbH & Co. KG erkennbar war, dass keine Organschaft berücksichtigt wird. Die Prüfung wird möglicherweise schnell durchgeführt werden können, weil nicht zu erwarten ist, dass VA einer Erhöhung seiner Umsatzsteuer 2010 zustimmt, nachdem über das Vermögen „seiner“ GmbH & Co. KG das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.

Quelle: BFH, Urteil v. 16.3.2022 – V R 14/21 (V R 45/19); NWB

Teilnahme eines Prüfers der Gemeinde an einer Außenprüfung des Finanzamts

Grundsätzlich darf ein Gemeindeprüfer an einer vom Finanzamt angeordneten und durchgeführten Außenprüfung, die auch die Gewerbesteuer betrifft, teilnehmen. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige Vertragsbeziehungen zu der Gemeinde unterhält und Sorge hat, dass der Gemeindeprüfer Einblick in die Kalkulation erhalten könnte. Diesem Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen kann dadurch Rechnung getragen werden, dass der Außenprüfer des Finanzamts während der Außenprüfung darüber entscheidet, welche Informationen er an den Gemeindeprüfer weitergibt.

Hintergrund: Nach dem Gesetz sind die Gemeinden berechtigt, an Außenprüfungen der Finanzämter, die die Gewerbe- oder Grundsteuer betreffen, teilzunehmen, wenn die Außenprüfung im Gemeindebezirk erfolgt und der Steuerpflichtige in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhält oder aber Grundbesitz hat.

Sachverhalt: Die Klägerin war eine im Einzelhandelsbereich tätige GmbH in der Gemeinde X. Sie verkaufte ihre Waren auch an die X. Das Finanzamt ordnete im August 2017 eine Außenprüfung bei der Klägerin an, die u.a. die Gewerbesteuer betraf. In der Anordnung teilte das Finanzamt mit, dass auch der Gemeindeprüfer an der Prüfung teilnehme. Die Klägerin wehrte sich gegen die Prüfungsanordnung mit der Begründung, die Gemeinde könne aufgrund der Teilnahme des Gemeindeprüfers Einblick in ihre Kalkulation erhalten, die ihren Lieferverträgen mit der Gemeinde sowie mit ihren anderen Kunden zugrunde liegt.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) hielt die Prüfungsanordnung für rechtmäßig und wies die Klage ab:

  • Die Gemeinde hat ein gesetzliches Teilnahmerecht an einer vom Finanzamt angeordneten Außenprüfung, wenn diese die Gewerbe- oder Grundsteuer betrifft. Daher ist eine Prüfungsanordnung rechtmäßig, in der der Gemeinde ein Teilnahmerecht eingeräumt wird.
  • Allerdings muss der Außenprüfer des Finanzamts aufgrund des Steuergeheimnisses darauf achten, dass der Gemeindeprüfer nur Informationen erlangt, die die Gewerbe- bzw. Grundsteuer betreffen.
  • Soweit der Steuerpflichtige ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse dahingehend hat, dass die Gemeinde von bestimmten Daten oder Unterlagen nichts erfährt, kann dieses Geheimhaltungsinteresse während der Außenprüfung berücksichtigt werden. So kann der Steuerpflichtige dem Prüfer des Finanzamts konkret mitteilen, welche Unterlagen und Daten dem Gemeindeprüfer nicht offenbart werden sollen. Der Außenprüfer kann dann die Unterlagen und Daten des Steuerpflichtigen in qualitativer Weise auf ihre Vertragssensibilität prüfen und entscheiden, welche Informationen er dem Gemeindeprüfer mitteilt.
  • Sollte sich der Finanzamtsprüfer für eine Weitergabe der – vom Steuerpflichtigen als geheimhaltungsbedürftig angesehenen – Informationen an den Gemeindeprüfer entscheiden, muss er dies durch einen Verwaltungsakt (Bescheid) entscheiden und diesen begründen. Der Steuerpflichtige kann dann gegen den Bescheid Einspruch einlegen und sich hiergegen auch im einstweiligen Rechtsschutz wehren.

Hinweise: Auch wenn die Klägerin verloren hat, bedeutet dies nicht, dass ihr Geheimhaltungsinteresse irrelevant ist. Die Klägerin muss zwar zunächst die Prüfungsanordnung hinnehmen, kann während der Prüfung aber den Prüfer informieren, welche Unterlagen und Daten sie als geheimhaltungsbedürftig ansieht. Der Prüfer entscheidet dann darüber, ob er diese Unterlagen und Daten der Gemeinde offenbart oder nicht. Falls er die Auffassung des Steuerpflichtigen nicht teilt, muss er diese Entscheidung durch Bescheid treffen, so dass sich der Steuerpflichtige hiergegen rechtlich wehren kann, und zwar auch vorab, wie der Hinweis des BFH auf den einstweiligen Rechtsschutz zeigt.

Einen generellen Ausschluss des Teilnahmerechts der Gemeinde in der Prüfungsanordnung wegen der Vertragsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Gemeinde lehnt der BFH aber ab, weil dies zu einer faktischen Aushöhlung des gesetzlich geregelten Teilnahmerechts der Gemeinde führen würde. Die Gemeinde müsste ansonsten Vertragsbeziehungen zu den Unternehmen ihrer Gemeinde unterlassen, um einen Ausschluss ihres Teilnahmerechts zu vermeiden; mit einer derartigen Unterlassung würde sie aber gegen ihre eigenen Interessen verstoßen.

Quelle: BFH, Urteil v. 20.10.2022 – III R 25/21; NWB

Vorsteuer bei Reparatur eines Dachs mit Photovoltaikanlage

Ein Unternehmer, der eine Photovoltaikanlage betreibt und die Anlage in vollem Umfang seinem Unternehmen zugeordnet hat, kann die Vorsteuer aus der Reparatur des Dachs, auf dem die Anlage installiert worden ist, in vollem Umfang abziehen, wenn das Dach bei der Montage der Anlage beschädigt worden ist. Dem Vorsteuerabzug steht nicht entgegen, dass der Unternehmer in dem Haus, auf dem die Photovoltaikanlage installiert worden ist, wohnt.

Hintergrund: Ein Unternehmer kann die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen, wenn die Leistung an sein Unternehmen erbracht worden ist und eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt.

Sachverhalt: Im Jahr 2009 installierte der Kläger eine Photovoltaikanlage auf dem Dach seines Einfamilienhauses. Er ordnete die Anlage vollständig seinem Unternehmen zu, machte den Vorsteuerabzug in vollem Umfang geltend und speiste den Strom umsatzsteuerpflichtig in das Netz ein. Im Streitjahr 2019 bemerkte der Kläger, dass das Dach bei der Installation beschädigt worden war. Zu diesem Zeitpunkt waren Ansprüche gegen die Montagefirma bereits verjährt. Der Kläger ließ den beschädigten Teil des Dachs, auf dem sich die Photovoltaikanlage befand, für ca. 22.000 € reparieren und machte die Vorsteuer in Höhe von ca. 4.000 € geltend.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage statt:

  • Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist u.a. ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Eingangsumsatz (Reparatur) und einem oder mehreren umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätzen. Ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist in Anbetracht des objektiven Inhalts des betreffenden Umsatzes zu beurteilen. Ein Kriterium für die Bestimmung des objektiven Inhalts ist nicht nur die Verwendung der Reparaturleistung für die Umsätze des Unternehmers, sondern auch der ausschließliche Entstehungsgrund der Reparatur.
  • Im Streitfall ist der Schaden ausschließlich durch die unsachgemäße Montage der Photovoltaikanlage und damit in der unternehmerischen Sphäre entstanden.
  • Die künftige Nutzung des Dachs ist jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn dem Kläger über die Schadensbeseitigung hinaus in seinem Privatvermögen kein verbrauchsfähiger Vorteil verschafft wird. Zwar gehörte das Einfamilienhaus zum Privatvermögen des Klägers; dies führt aber nicht zur Versagung des Vorsteuerabzugs, weil es im Streitfall nicht um die Vorsteuer aus der Anschaffung des Hauses ging, sondern um die Vorsteuer aus den Kosten für die Nutzung und Wartung des Hauses.

Hinweise: Hätte der Kläger ein Dach angemietet, um seine Photovoltaikanlage betreiben zu können, hätte er die Vorsteuer aus der Reparaturrechnung zweifelsfrei geltend machen können, wenn das Dach bei der Installation beschädigt worden wäre. Es würde dann gegen den Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer verstoßen, wenn der Kläger nur deshalb die Vorsteuer nicht abziehen könnte, weil dem Eigentümer durch die Reparatur ein nebensächlicher Vorteil entsteht.

Quelle: BFH, Urteil v. 7.12.2022 – XI R 16/21; NWB

Keine gesetzliche Zugangsvermutung eines Bescheids bei nicht täglicher Postzustellung

Nutzt das Finanzamt für die Bekanntgabe von Bescheiden einen privaten Postdienstleister, der nur an fünf Tagen in der Woche die Post zustellt, greift die gesetzliche Zugangsvermutung nicht, nach der ein Bescheid am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Die Einspruchsfrist beginnt dann erst mit Ablauf des Tages, an dem der Bescheid tatsächlich bekannt gegeben wird.

Hintergrund: Nach dem Gesetz gilt ein Bescheid, der durch die Post übermittelt wird, als am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, es sei denn, er ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Im Zweifel hat das Finanzamt den Zugang des Bescheids und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Sachverhalt: Das Finanzamt erließ mit Datum vom 15.6.2018, einem Freitag, einen Einkommensteuerbescheid für 2017 gegenüber der Klägerin. Mit der postalischen Übermittlung des Bescheids beauftragte das Finanzamt den privaten Postdienstleister C. Die Klägerin kehrte am 19.6.2018, einem Dienstag, aus ihrem Urlaub zurück. Sie fand den Bescheid in ihrem Briefkasten vor und übermittelte ihn an ihren Steuerberater, der am 19.7.2018, einem Donnerstag, Einspruch beim Finanzamt einlegte und weitere Werbungskosten geltend machte. Das Finanzamt hielt den Einspruch für verfristet, weil nach seiner Auffassung die Einspruchsfrist am 18.7.2018 geendet hatte.

Entscheidung: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) hielt den Einspruch für zulässig und hinsichtlich der geltend gemachten Werbungskosten auch für begründet:

  • Die gesetzliche Zugangsvermutung, nach der der Bescheid vom 15.6.2018 als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, greift im Streitfall nicht, da die C die Post nicht an sechs Tagen in der Woche zugestellt hat, sondern nur an fünf Tagen.
  • An der Aufgabe zur Post am 15.6.2018 bestehen zwar keine Zweifel, da das Finanzamt dargelegt hat, dass sichergestellt war, dass der schon vor dem 15.6.2018 erstellte Bescheid am 15.6.2018 der C übergeben wird. Auch ist die C als Post anzusehen, weil auch private Postdienstleistungsunternehmen als Post einzustufen sind.
  • Die gesetzliche Zugangsvermutung greift allerdings nicht, wenn die Post oder der private Postdienstleister die Post regelmäßig nicht an allen Werktagen (Montag bis Sonnabend) zustellt, sondern – wie im Streitfall – nur an fünf Tagen eine Postzustellung durchführt.
  • Es erscheint möglich, dass der Bescheid der Klägerin erst am 19.6.2018 bekannt gegeben worden ist, so dass der Einspruch rechtzeitig erhoben worden ist. Nach den Aussagen der Zeugen, die das FG vernommen hat, wurde die Post des Finanzamts am Sonnabend, dem 16.6.2018, im Zustellzentrum der C, das 140 km vom Finanzamt entfernt war, angeliefert und dann erst wieder am Dienstag, dem 19.6.2018, angeliefert. Am 18.6.2018 wurde nur die Post ausgetragen, die am 16.6.2018 angeliefert wurde und an diesem Tag nicht mehr zugestellt wurde.
  • Inhaltlich gab es keinen Streit über die geltend gemachten Werbungskosten, so dass der Einspruch auch begründet war.

Hinweise: Das FG sah es als unschädlich an, dass die Klägerin den Briefumschlag nicht aufgehoben hatte. In der Praxis sollte ein Briefumschlag aber vorsorglich aufgehoben werden, erst recht, wenn sich hieraus ergibt, dass der Bescheid erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben worden sein könnte.

Mit der Postzustellung verhält es sich aktuell wie mit der Bahn: Beide werden zunehmend unzuverlässiger. Möglicherweise wird dieses Problem im Bereich der Bekanntgabe von Steuerbescheiden durch die elektronische Übermittlung oder durch die Bereitstellung von Bescheiden zum Datenabruf gemindert; soweit aber eine postalische Bekanntgabe erfolgt, „wackelt“ die gesetzliche Zugangsvermutung von drei Tagen nach Aufgabe zur Post. Gleichwohl sollte nicht darauf vertraut werden, dass die Einspruchsfrist erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnt, sondern der Einspruch frühzeitig – ggf. ohne Begründung – erhoben werden, zumal eine Einspruchseinlegung per E-Mail zulässig ist.

Quelle: FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24.8.2022 – 7 K 7045/20; NWB

Höhe der Säumniszuschläge ist verfassungsgemäß

Der Bundesfinanzhof (BFH) hält die Höhe der Säumniszuschläge, die sich auf monatlich 1 % bzw. jährlich 12 % belaufen, für verfassungsgemäß. Die Gründe, die bei Nachzahlungszinsen auf Steuernachzahlungen dazu führten, dass ein Zinssatz von 6 % für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 als verfassungswidrig angesehen wurde, lassen sich auf Säumniszuschläge nicht übertragen.

Hintergrund: Bei einer verspäteten Zahlung von Steuern werden Säumniszuschläge in Höhe von 1 % monatlich des rückständigen Betrags erhoben. Jährlich entstehen also Säumniszuschläge in Höhe von 12 %. Dieser Zuschlag ist doppelt so hoch wie die für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 geltenden Nachzahlungszinsen, die monatlich 0,5 % betrugen, Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Jahr 2021 die Höhe des Zinssatzes von 6 % für Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab 1.1.2019 für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hat deshalb rückwirkend ab 1.1.2019 den Zinssatz auf 0,15 % monatlich bzw. 1,8 % jährlich gesenkt. Umstritten ist, ob diese Entscheidung des BVerfG auch Bedeutung für die Höhe der Säumniszuschläge hat.

Sachverhalt: Der Kläger war ein Insolvenzverwalter eines Steuerpflichtigen, der die Steuern verspätet bzw. gar nicht gezahlt hatte. Hierdurch waren Säumniszuschläge in Höhe von 1.153 € verwirkt worden. Das Finanzamt erließ die Hälfte und meldete die verbleibende Hälfte in Höhe von 576,50 € zur Insolvenztabelle an. Da der Insolvenzverwalter die Säumniszuschläge bestritt, erließ das Finanzamt einen Feststellungsbescheid über Insolvenzforderungen, zu denen auch die Säumniszuschläge gehörten. Hiergegen klagte der Insolvenzverwalter und machte die Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge geltend.

Entscheidung: Der BFH wies die Klage ab:

  • Die Höhe von 1 % pro Monat bzw. 12 % jährlich für Säumniszuschläge ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die verfassungsrechtlichen Erwägungen für Nachzahlungszinsen, die zur Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes von 6 % für Verzinsungszeiträume führten, lassen sich auf Säumniszuschläge nicht übertragen.
  • Im Gegensatz zu den Zinsen auf Steuernachzahlungen ist der Hauptzweck von Säumniszuschlägen nämlich nicht die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen. Vielmehr geht es bei Säumniszuschlägen vorrangig um die Sanktionierung verspäteter Zahlungen. Der Steuerpflichtige hat die Entstehung des Säumniszuschlags aufgrund seiner verspäteten Zahlung zudem bewusst in Kauf genommen.
  • Der Gesetzgeber musste bei der Höhe der Säumniszuschläge auch nicht das strukturelle Niedrigzinsniveau, das seit 2014 besteht, berücksichtigen. Säumniszuschläge sind nämlich keine Zinsen, sondern Nebenleistungen zur Steuer, die die Eigenschaften von Zinsen teilen. In Säumniszuschlägen ist auch kein konkreter Zinsanteil enthalten.

Hinweise: Bislang hatte sich der BFH nur im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Höhe der Säumniszuschläge geäußert. Die aktuelle Entscheidung ist hingegen ein Urteil im Hauptsacheverfahren. Allerdings kann eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge allein das BVerfG treffen.

In der Praxis wird angenommen, dass die Hälfte der Säumniszuschläge als Druckmittel dient und im Übrigen eine Zinsfunktion hat sowie den Verwaltungsaufwand des Finanzamts ersetzen soll. Ist der Steuerpflichtige zahlungsunfähig, wird daher auf Antrag in der Regel die Hälfte der Säumniszuschläge erlassen (wie auch im Streitfall), da bei Zahlungsunfähigkeit ein Druckmittel sinnlos ist.

Quelle: BFH, Urteil v. 15.11.2022 – VII R 55/20; NWB