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Solidaritätszuschlag noch verfassungsgemäß

Die Erhebung des Solidaritätszuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.1.2023 – IX R 15/20 entschieden.

Hintergrund: Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer. Der Solidaritätszuschlag wurde zunächst 1991 eingeführt. Als Sinn und Zweck der Erhebung sind damals die finanziellen Auswirkungen des Golfkriegs sowie die Mehrbelastungen resultierend aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wiedervereinigung angeführt worden. Dieser (erste) Solidaritätszuschlag betrug maximal 7,5 Prozent und war zeitlich bis zum 30.6.1992 befristet. Er wurde nicht verlängert, so dass er Mitte 1992 auslief.

Der geltende (zweite) Solidaritätszuschlag wird seit dem Jahr 1995 bis heute erhoben. Rechtsgrundlage ist das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 (SolZG 1995). Der Solidaritätszuschlag betrug von 1995 bis 1997 zunächst 7,5 Prozent, ab 1998 5,5 Prozent der festgesetzten Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Er wurde allen Steuerpflichtigen – sowohl in den alten wie auch in den neuen Bundesländern – entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit auferlegt, um in einem solidarischen finanziellen Opfer aller Bevölkerungsgruppen die deutsche Einheit zu finanzieren. Das Aufkommen steht allein dem Bund zu. Bis zum Jahr 2019 wurde der Solidaritätszuschlag kaum verändert.

Mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 (aus dem Jahr 2019) wurde der Zuschlag fortgeführt. Allerdings wurden aus sozialen und konjunkturellen Gründen rund 90 Prozent der Steuerpflichtigen ab dem Jahr 2021 von der Abgabenpflicht befreit. Nur Spitzenverdiener müssen seitdem die Ergänzungsabgabe noch entrichten. In der Begründung des Gesetzes wird ausgeführt, es bestehe weiterhin eine besondere wiedervereinigungsbedingte Finanzlast des Bundes, etwa in der Rentenversicherung, im Arbeitsmarkt, im Bereich der Anspruchs- und Anwartschaftsüberführung und im Hinblick auf besondere Leistungen für die ostdeutschen Bundesländer. In der Folge sank das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag von rund 19 Milliarden € im Jahr 2020 auf rund 11 Milliarden im Jahr 2021.

Sachverhalt: Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078 € und für das Jahr 2021 einen Vorauszahlungsbescheid über insgesamt 57 € Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem Finanzgericht hatte das klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim Bundesfinanzhof eingelegten Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags verstoße gegen das Grundgesetz. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung um eine verkappte „Reichensteuer“, die gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.

Entscheidung: Die Richter des BFH folgten dieser Argumentation nicht:

  • Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht geboten.
  • Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungsabgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist.
  • Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht verloren.
  • Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden.
  • Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen.
  • Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.
  • Der Solidaritätszuschlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.

Hinweis: Spannend bleibt, wie es weitergeht. Der unterlegene Kläger hat bereits angekündigt, Verfassungsbeschwerde gegen die Erhebung des Soli einzureichen. Das Bundesverfassungsgericht würde dann selbst die Verfassungsmäßigkeit des Soli prüfen. Wann mit einer solchen Entscheidung zu rechnen ist, ist zurzeit noch nicht absehbar.

Quelle: u.a. BFH, Pressemitteilung vom 30.1.2023 zum Urteil vom 17.1.2023 – IX R 15/20; NWB

Bevollmächtigung eines Steuerberaters kann vermutet werden

Tritt ein Steuerberater für einen Steuerpflichtigen gegenüber dem Finanzamt auf, ohne dass er eine ausdrückliche Vollmacht vorlegt, wird eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung des Steuerberaters vermutet. Dies hat zur Folge, dass der Steuerbescheid gegenüber dem Steuerberater für seinen Mandanten wirksam bekannt gegeben werden kann.

Hintergrund: Ein Steuerbescheid ist grundsätzlich gegenüber dem Betroffenen bekannt zu geben, kann aber auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. Mit der Bekanntgabe wird der Bescheid wirksam.

Streitfall: Die Kläger waren Eheleute und hatten ausländische Kapitalerträge nicht ordnungsgemäß erklärt. Sie beauftragten den Steuerberater S im Jahr 2014, die Kapitaleinkünfte für die Jahre 2008 bis 2011 zu erklären und die Einkommensteuererklärung für 2012 zu erstellen. S reichte beim Finanzamt entsprechende Vollmachten der Kläger für die „Erklärung von Einkünften 2008 bis 2011“ sowie „Einkommensteuer 2012“ ein. Die Steuerfahndung forderte den S im weiteren Verlauf des Verfahrens auf, die Anlagen für Kapitaleinkünfte der Jahre 2008 bis 2011 einzureichen sowie die Kapitaleinkünfte für die Jahre 2004 bis 2007 zu erklären. S reichte im September 2015 die Anlagen für die Kapitaleinkünfte der Kläger für die Jahre 2004 bis 2011 „wunschgemäß“ beim Finanzamt ein. Das Finanzamt stellte daraufhin dem S einen geänderten Einkommensteuerbescheid für die Kläger für 2004 mit Postzustellungsurkunde am 21.12.2015 zu. Die Kläger hielten den Bescheid für unwirksam.

Entscheidung: Der BFH wies die Klage ab, da der Bescheid wirksam bekannt gegeben worden war:

  • Die Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids für 2004 an S war gegenüber den Klägern wirksam. Denn S war Bevollmächtigter der Kläger.
  • Zwar hatte S eine Vollmacht nur für die Besteuerungszeiträume 2008 bis 2012 vorgelegt. Eine Bevollmächtigung kann aber auch ohne ausdrückliche Vollmacht vorliegen, wenn nämlich der Steuerberater für den Steuerpflichtigen auftritt. Die Bevollmächtigung ist dann zu vermuten.
  • Im Streitfall trat S auch hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2007 für die Kläger auf und übersandte in ihrem Namen Unterlagen über ausländische Kapitalerträge an das Finanzamt. Zudem war S auch bereits für die Jahre 2008 bis 2012 unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht für die Kläger aufgetreten. Das Finanzamt durfte daher davon ausgehen, dass die Vollmacht der Kläger für die Jahre 2008 bis 2012 nachträglich auf die Jahre 2004 bis 2007 erweitert worden war.

Hinweise: Der Gesetzgeber regelt seit 2017 ausdrücklich, dass bei Steuerberatern, die für einen Steuerpflichtigen handeln, eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet wird. Schon vor der Gesetzesregelung wurde aber – wie im Streitfall – eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet. Der BFH macht deutlich, dass die Gesetzesregelung die Rechtsprechungsgrundsätze lediglich verankern sollte.

Die Wirksamkeit der Bekanntgabe des Bescheids am 21.12.2015 war deshalb für das Finanzamt so wichtig, weil am 31.12.2015 Festsetzungsverjährung für das Streitjahr 2004 eintrat. Die Kläger hatten ihre Steuererklärung für 2004 im Jahr 2005 abgegeben und die Kapitaleinkünfte hinterzogen, so dass die Verjährungsfrist zehn Jahre betrug und am 1.1.2006 begann und am 31.12.2015 endete. Wäre die Zustellung des Bescheids unwirksam gewesen, hätte die Bekanntgabe des Bescheids im Jahr 2016 nicht mehr nachgeholt werden können.

Quelle: BFH, Urteil v. 16.3.2022 – VIII R 19/19; NWB

Kapitaleinkünfte bei Rückabwicklung eines Bankdarlehens

Werden ein Bankkredit vom Darlehensnehmer unter Hinweis auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung widerrufen und die Kreditauszahlung sowie die Darlehens- und Zinszahlungen rückabgewickelt, kann die von der Bank geleistete Rückzahlung zu steuerpflichtigen Kapitaleinkünften des Darlehensnehmers führen. Dies ist der Fall, wenn es sich bei der Zahlung der Bank um Nutzungswertersatz für die vom Darlehensnehmer erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen handelt.

Hintergrund: Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte vor einigen Jahren die Widerrufsbelehrungen der Banken als fehlerhaft eingestuft. Dies ermöglichte Darlehensnehmern, noch weit nach Ablauf der (fehlerhaft) vereinbarten Widerrufsfrist einen Widerruf zu erklären. Es kam dann zu einer Rückabwicklung der Darlehensbeziehung.

Sachverhalt: Die Kläger waren Eheleute, die im Jahr 2004 ein Wohnungsbaudarlehen für ihr Einfamilienhaus über 197.000 € aufgenommen hatten. Nachdem der BGH seine Entscheidung zur fehlerhaften Widerrufsbelehrung veröffentlicht hatte, erklärten die Kläger im Jahr 2014 den Widerruf, so dass es zu einer Rückabwicklung kam. Die Kläger machten dabei einen Zahlungsbetrag von ca. 77.000 € geltend, der sich aus der Summe der von ihnen von 2004 bis zum Widerruf erbrachten Tilgungs- und Zinsleistungen, den Zinsen hierauf und der nach dem Widerruf erfolgten Darlehensrückzahlung abzüglich Darlehensvaluta und der Zinsen hierauf zusammensetzte. Die Kläger einigten sich aber außergerichtlich mit der Bank auf die Zahlung eines Betrags von 15.000 € durch die Bank. Die Bank zahlte diesen Betrag im Jahr 2018 an die Kläger, behielt aber 25 % Kapitalertragsteuer ein. Die Kläger machten in ihrer Steuererklärung geltend, dass es sich nicht um Kapitalerträge gehandelt habe.

Entscheidung: Das Finanzgericht Münster (FG) wies die Klage ab:

  • Bei der Vergleichssumme von 15.000 € handelte es sich um Zinsen, die als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern sind.
  • Die Kläger hatten aufgrund der von ihnen an die Bank im Zeitraum 2004 bis 2014 gezahlten Tilgungen und Zinsen nicht nur einen Anspruch auf Rückzahlung der Tilgungen und Zinsen, sondern hatten auch einen Nutzungswertersatz hinsichtlich dieser Tilgungs- und Zinsleistungen. Bei diesem Nutzungswertersatz handelt es sich um ein Entgelt für eine Kapitalüberlassung.
  • Unbeachtlich ist, dass die Kläger bei Aufnahme des Darlehens überhaupt keine Absicht hatten, das Darlehen rückabzuwickeln. Ebenfalls kommt es nicht darauf an, dass die Kläger keinen Überschuss erzielt haben; denn bei einer Rückabwicklung stehen sich die einzelnen Ansprüche der Kläger als Darlehensnehmer und der Bank als Darlehensgeberin selbständig gegenüber.
  • Den Klägern steht ein Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 1.602 € für den Veranlagungszeitraum 2018 zu. Allerdings können sie nicht die Werbungskosten der Jahre 2004 bis 2017 im Streitjahr 2018 geltend machen.

Hinweise: Für das FG spielte es keine Rolle, dass das Darlehen das selbstbewohnte Haus der Kläger und damit den Privatbereich betraf.

Beim Bundesfinanzhof (BFH) sind bereits mehrere Revisionen zu Widerrufsfällen bei Bankdarlehen anhängig, so dass eine höchstrichterliche Entscheidung noch aussteht. Tatsächlich sollte der Ansatz von Kapitaleinkünften in derartigen Fällen nicht akzeptiert, sondern Einspruch eingelegt werden. Denn zum einen fehlt es an einer bewussten Kapitalüberlassung der Darlehensnehmer, da sie ihre Zinsen und Tilgungen dauerhaft an die Bank zahlen wollten. Zum anderen erscheint es zweifelhaft, dass die Vergleichssumme von 15.000 € nur Nutzungswertersatz sein sollte. Schließlich ist es bedenklich, dass die Darlehensnehmer Zinsen versteuern müssen, obwohl sie per Saldo keinen Überschuss erwirtschaftet haben.

FG Münster, Urteil v. 13.1.2022 – 3 K 2991/19 E; NWB

Hinterziehungszinsen für hinterzogene Jahreseinkommensteuer und für Einkommensteuervorauszahlungen

Das Finanzamt kann sowohl für die hinterzogene Einkommensteuer eines Veranlagungszeitraums als auch für die Vorauszahlungen dieses Veranlagungszeitraums Hinterziehungszinsen festsetzen. Eine Doppelverzinsung liegt nicht vor, weil sich die Verzinsungszeiträume nicht überschneiden; denn der Verzinsungszeitraum für die Hinterziehungszinsen für die hinterzogenen Vorauszahlungen endet mit dem Beginn des Verzinsungszeitraums für die hinterzogene Jahreseinkommensteuer.

Hintergrund: Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt grundsätzlich mit dem Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils, es sei denn, dass die hinterzogenen Beträge ohne die Steuerhinterziehung erst später fällig geworden wären. Der Zinslauf endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern.

Sachverhalt: Die Kläger hatten in den Veranlagungszeiträumen 2003 bis 2013 ausländische Zinsen nicht erklärt. Nachdem das Finanzamt dies festgestellt hatte, erließ es geänderte Einkommensteuerbescheide, nicht aber geänderte Vorauszahlungsbescheide. Außerdem setzte das Finanzamt im Jahr 2016 Hinterziehungszinsen sowohl für die hinterzogenen Jahreseinkommensteuern als auch für die hinterzogenen Vorauszahlungen fest. Dabei begrenzte es den Zinslauf für die hinterzogenen Vorauszahlungen auf den Tag der Bekanntgabe des entsprechenden Jahressteuerbescheids. Die Kläger wandten sich gegen die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zu den Vorauszahlungen mit der Begründung, dass es zu einer Doppelverzinsung gekommen sei.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage überwiegend ab:

  • Die Kläger haben nicht nur die jeweilige Jahreseinkommensteuer der Veranlagungszeiträume 2003 bis 2013 hinterzogen, sondern auch weitgehend die Vorauszahlungen dieser Jahre. Denn durch die Nichterklärung von ausländischen Zinsen in der Einkommensteuererklärung sind auch die Vorauszahlungen für den nachfolgenden Veranlagungszeitraum zu niedrig festgesetzt worden.
  • Die Kläger haben die Steuerhinterziehung vorsätzlich begangen. Der Vorsatz für eine Hinterziehung von Vorauszahlungen ist zu bejahen, wenn gegenüber dem Steuerpflichtigen regelmäßig Vorauszahlungen festgesetzt werden, weil er Einkünfte ohne Steuerabzug erzielt und ihm bekannt ist, dass bei einer unvollständigen Erklärung dieser Einkünfte auch die Vorauszahlungen für den Folgezeitraum zu niedrig ausfallen. Der Steuerpflichtige muss nicht genau wissen, in welcher Höhe die künftigen Vorauszahlungen verkürzt werden.
  • Eine Doppelverzinsung erfolgt nicht, wenn Hinterziehungszinsen sowohl für die Vorauszahlungen als auch für die Jahreseinkommensteuer desjenigen Veranlagungszeitraums, für den die Vorauszahlungen hätten geleistet werden müssen, festgesetzt werden. Denn es werden unterschiedliche Verzinsungszeiträume zugrunde gelegt, so dass nicht für ein und denselben Verzinsungszeitraum zweimal Hinterziehungszinsen festgesetzt werden.
    • So beginnt der Verzinsungszeitraum für die Hinterziehungszinsen mit dem jeweiligen Fälligkeitstag am 10.3., 10.6., 10.9. oder 10.12., und er endet mit dem Beginn des Verzinsungszeitraums für die hinterzogene Jahreseinkommensteuer, nämlich am Tag der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids oder, falls sich eine Abschlusszahlung aus dem Einkommensteuerbescheid ergibt, mit dem Tag der Fälligkeit der Abschlusszahlung.
    • Das Finanzamt hat auf diese Abgrenzung der Verzinsungszeiträume geachtet, so dass eine Doppelverzinsung nicht eingetreten ist.

Hinweise: Für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen ist nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige wegen einer Steuerhinterziehung verurteilt worden ist. Es wird also im Rahmen der Klage gegen die Festsetzung von Hinterziehungszinsen entschieden, ob eine Steuerhinterziehung vorlag.

Neben Hinterziehungszinsen entstehen auch Nachzahlungszinsen. Allerdings werden die Nachzahlungszinsen auf die Hinterziehungszinsen angerechnet. Hinterziehungszinsen haben für den Steuerpflichtigen den Nachteil, dass der Verzinsungszeitraum deutlich länger ist.

Eine Verjährung war hinsichtlich der Hinterziehungszinsen nicht eingetreten. Denn nach dem Gesetz beginnt die Verjährung erst mit Ablauf desjenigen Jahres, in dem die Festsetzung der hinterzogenen Steuern unanfechtbar geworden ist, nicht aber vor Abschluss des Jahres, in dem ein eingeleitetes Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Im Streitfall ist es weder zu einer Festsetzung der hinterzogenen Vorauszahlungen gekommen noch zu einem Abschluss eines Strafverfahrens; damit konnte die Festsetzungsfrist weder beginnen noch ablaufen.

Verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe des Zinssatzes für Hinterziehungszinsen in Höhe von 6 % hatte der BFH nicht. Denn das Bundesverfassungsgericht hat nur die regulären Nachzahlungszinsen hinsichtlich des Verzinsungszeitraums ab dem 1.1.2019 als verfassungswidrig angesehen, nicht aber Hinterziehungszinsen, da diese vom Steuerpflichtigen bewusst in Kauf genommen werden.

Die Klage hatte zum Teil Erfolg, weil der Vorsatz für zwei Vorauszahlungsquartale vom Finanzgericht (FG) nicht ausreichend festgestellt worden war. Der BFH hat die Sache insoweit an das FG zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.

BFH, Urteil v. 28.9.2021 – VIII R 18/18; NWB

Kapitaleinkünfte bei Abspaltung einer US-amerikanischen Kapitalgesellschaft

Ein sog. Spin-Off einer US-amerikanischen Kapitalgesellschaft, bei dem ein Unternehmensteil auf eine andere US-amerikanische Kapitalgesellschaft übertragen wird und hierfür Aktien gewährt werden, die den Aktionären zugeteilt werden, führt bei einem deutschen Aktionär nicht zu steuerpflichtigen Kapitaleinkünften, wenn der „Spin-Off“ mit einer Abspaltung nach deutschem Recht vergleichbar ist. Dies gilt aufgrund des Grundsatzes der Kapitalverkehrsfreiheit selbst dann, wenn die entsprechenden gesetzlichen Steuerbefreiungen noch gar nicht in Kraft getreten sind.

Hintergrund: Zu den Kapitaleinkünften gehören nicht nur Dividenden, sondern auch Sachausschüttungen wie z.B. neu zugeteilte Aktien. Der Gesetzgeber behandelt aber seit dem 1.1.2013 die Zuweisung von Aktien im Rahmen einer inländischen Abspaltung nicht als Kapitalertrag. Auch ein Aktientausch wird nicht besteuert.

Sachverhalt: Der in Deutschland wohnhafte Kläger war Aktionär der Kraft Foods Inc. (K), einer US-amerikanischen Kapitalgesellschaft. Die K übertrug am 2.10.2012 ihre Lebensmittelsparte für die USA und Kanada auf die neu gegründete Foods Group Inc. (F), bei der es sich ebenfalls um eine US-amerikanische Kapitalgesellschaft handelte. Hierfür erhielt die K Aktien an der F, die sie ihren Aktionären (d.h. den Aktionären der K) und damit dem Kläger am 5.10.2012 im Verhältnis 3:1 zuteilte. Im Depot des Klägers wurden die Aktien der F am 5.10.2012 eingebucht. Das Finanzamt sah hierin eine steuerpflichtige Sachausschüttung und unterwarf sie in Höhe des Börsenkurses der F der Abgeltungsteuer.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der hiergegen gerichteten Klage statt:

  • Die zugeteilten Aktien an der F stellen grundsätzlich Kapitalerträge in Gestalt einer Sachausschüttung dar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die ausschüttende Gesellschaft eine inländische oder ausländische Gesellschaft ist.
  • Deutschland steht auch das Besteuerungsrecht an der Sachausschüttung zu. Denn der Kläger war aufgrund seines Wohnsitzes in Deutschland hier unbeschränkt steuerpflichtig. Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der USA und Deutschland liegt das Besteuerungsrecht für Dividenden, zu denen auch Sachausschüttungen gehören, bei Deutschland.
  • Die Zuteilung der Aktien ist auch keine steuerfreie Einlagenrückgewähr. Zwar können auch Kapitalgesellschaften außerhalb der EU und des EWR, d.h. aus sog. Drittstaaten, grundsätzlich steuerfrei Einlagen, die die Gesellschafter bzw. Aktionäre eingezahlt haben, steuerfrei an die Gesellschafter bzw. Aktionäre zurückgewähren. Auch wenn dies gesetzlich nicht ausdrücklich zugelassen ist, folgt die Anerkennung einer steuerfreien Einlagenrückgewähr aus der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit, die die Aktionäre und Gesellschafter in der EU schützt. Die K verfügte jedoch nicht über Einlagen, sondern nur über Gewinne der Vorjahre; diese können nicht steuerfrei ausgeschüttet werden.
  • Die Zuteilung der Aktien an der F ist auch nicht deshalb steuerfrei, weil sie im Rahmen einer Abspaltung erfolgt ist; denn diese Regelung gilt erstmals für Abspaltungen, die nach dem 31.12.2012 erfolgt sind. Im Streitfall ist die Abspaltung aber bereits im Oktober 2012 vollzogen worden.
  • Jedoch kann sich der Kläger bis zum 31.12.2012 auf die Steuerbefreiung für den Anteilstausch berufen, solange die Steuerbefreiung für Abspaltungen noch nicht in Kraft getreten ist. Die Anwendung dieser Steuerbefreiung für den Anteilstausch ist nämlich aufgrund der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit geboten; anderenfalls wären deutsche Aktionäre einer US-amerikanischen Kapitalgesellschaft schlechter gestellt als deutsche Aktionäre einer deutschen oder in der EU bzw. im EWR ansässigen Kapitalgesellschaft.

Hinweise: Der BFH hat bereits vor kurzem in einem ähnlichen Fall, der einen sog. Spin-Off bei Hewlett-Packard betraf, die Steuerfreiheit für einen deutschen Aktionär bejaht. Das aktuelle Urteil setzt diese Tendenz fort.

Im Ergebnis sind damit Aktienzuweisungen aufgrund einer Abspaltung in einem sog. Drittstaat außerhalb der EU bzw. des EWR steuerfrei, auch wenn es keine gesetzlichen Regelungen hierzu gibt; denn im Zweifel ist die Kapitalverkehrsfreiheit zu beachten, nach der deutsche Aktionäre bei Kapitalanlagen in einem Drittstaat (USA) nicht schlechter gestellt werden dürfen als bei einer Kapitalanlage in der EU bzw. im EWR. Wichtig ist aber, dass die Abspaltung im Drittstaat mit einer Abspaltung nach deutschem Recht vergleichbar ist.

Verkauft der Kläger die ihm zugewiesenen Aktien an der F, ist der Veräußerungsgewinn steuerpflichtig. Dabei werden die Anschaffungskosten, die der Kläger für die K-Aktien aufgewendet hatte, anteilig übernommen. Den Aufteilungsmaßstab hat der BFH auch in dem aktuellen Urteil offengelassen, weil ein Verkauf im Streitjahr noch nicht erfolgt war.

BFH, Urteil v. 19.10.2021 – VIII R 7/20; NWB