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Spekulationsgewinne bei Kryptowährungen steuerpflichtig

Veräußerungsgewinne, die ein Steuerpflichtiger innerhalb eines Jahres aus dem Verkauf oder dem Tausch von Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum und Monero erzielt, unterfallen der Besteuerung als privates Veräußerungsgeschäft. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) vor Kurzem entschieden.

Sachverhalt. Der Kläger hatte verschiedene Kryptowährungen erworben, getauscht und wieder veräußert. Im Einzelnen handelte es sich um Geschäfte mit Bitcoins, Ethereum und Monero, die der Steuerpflichtige privat tätigte. Im Streitjahr 2017 erzielte er daraus einen Gewinn in Höhe von insgesamt 3,4 Millionen Euro.

Mit dem Finanzamt kam es zum Streit darüber, ob der Gewinn aus der Veräußerung und dem Tausch von Kryptowährungen der Einkommensteuer unterliegt. Die vom Steuerpflichtigen beim Finanzgericht erhobene Klage war ganz überwiegend erfolglos.

Entscheidung: Der BFH hat die Steuerpflicht der Veräußerungsgewinne aus Bitcoin, Ethereum und Monero bejaht:

  • Bei Kryptowährungen handelt es sich um Wirtschaftsgüter, die bei einer Anschaffung und Veräußerung innerhalb eines Jahres der Besteuerung als privates Veräußerungsgeschäft unterfallen.
  • Virtuelle Währungen (Currency Token, Payment Token) stellen nach Auffassung des BFH ein „anderes Wirtschaftsgut“ i.S. der einschlägigen Vorschrift des Einkommensteuergesetzes dar. Der Begriff des Wirtschaftsguts ist weit zu fassen.
  • Er umfasst neben Sachen und Rechten auch tatsächliche Zustände sowie konkrete Möglichkeiten und Vorteile, deren Erlangung sich ein Steuerpflichtiger etwas kosten lässt und die nach der Verkehrsauffassung einer gesonderten selbständigen Bewertung zugänglich sind.
  • Diese Voraussetzungen sind bei virtuellen Währungen gegeben. Bitcoin, Ethereum und Monero sind wirtschaftlich betrachtet als Zahlungsmittel anzusehen. Sie werden auf Handelsplattformen und Börsen gehandelt, haben einen Kurswert und können für direkt zwischen Beteiligten abzuwickelnde Zahlungsvorgänge Verwendung finden. Technische Details virtueller Währungen sind für die Eigenschaft als Wirtschaftsgut nicht von Bedeutung. Erfolgen Anschaffung und Veräußerung oder Tausch der Token innerhalb eines Jahres, unterfallen daraus erzielte Gewinne oder Verluste der Besteuerung.
  • Das ist nach Ansicht des BFH auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein sog. strukturelles Vollzugsdefizit, das einer Besteuerung entgegensteht, liegt nicht vor. Es sind weder gegenläufige Erhebungsregelungen vorhanden, die einer Besteuerung entgegenstehen, noch liegen Anhaltspunkte vor, dass seitens der Finanzverwaltung Gewinne und Verluste aus Geschäften mit Kryptowährungen nicht ermittelt und erfasst werden können. Dass es in Einzelfällen Steuerpflichtigen trotz aller Ermittlungsmaßnahmen der Finanzbehörden (z.B. in Form von Sammelauskunftsersuchen) beim Handel mit Kryptowährungen gelingt, sich der Besteuerung zu entziehen, kann ein strukturelles Vollzugsdefizit nicht begründen.

Quelle: BFH, Pressemitteilung vom 28.2.2023 zu BFH, Urteil vom 14.2.2023 – IX R 3/22; NWB

Umsatzsteuer eines Vereins für Verkehrserziehung

Die Umsätze eines gemeinnützigen Vereins für Verkehrserziehung aus einem Fahrsicherheitstraining sind umsatzsteuerfrei, wenn das Fahrsicherheitstraining von den Teilnehmern beruflich genutzt wird. Die Umsätze aus der Vermietung eines Rettungssimulators unterliegen dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 %, wenn es sich insoweit um einen sog. Zweckbetrieb handelt und der Zweckbetrieb nicht im Wettbewerb mit nicht gemeinnützigen Unternehmen steht.

Hintergrund: Umsätze aus Schulungsmaßnahmen sind unter bestimmten Voraussetzungen umsatzsteuerfrei.

Gemeinnützige Vereine unterliegen mit ihren Umsätzen aus einem sog. Zweckbetrieb dem ermäßigten Umsatzsteuersatz. Ein Zweckbetrieb ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb, mit dem die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke des Vereins verwirklicht werden, wenn diese Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können. Allerdings ist für die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes erforderlich, dass mit dem Zweckbetrieb nicht in erster Linie zusätzliche Umsätze erzielt werden, die zu einem unmittelbaren Wettbewerb mit nicht gemeinnützigen Unternehmern führen.

Sachverhalt: Der Kläger war ein gemeinnütziger Verein, der auf den Gebieten der Verkehrssicherheit und Verkehrserziehung tätig war. Er führte in den Jahren 2013 und 2014 Sicherheitstrainings für die Nutzung von Pkw und Motorrädern, aber auch für Senioren durch. Außerdem kaufte der Kläger einen Rettungssimulator, den er an verschiedene Veranstalter für Veranstaltungen wie z.B. die Eröffnung eines Autohauses oder Firmenjubiläen vermietete. Mit einem Rettungssimulator konnte geübt werden, wie man sich aus einem umgestürzten Auto befreit. Der Kläger behandelte die Umsätze aus dem Sicherheitstraining sowie aus der Vermietung des Rettungssimulators als umsatzsteuerfrei. Das Finanzamt ging von einer Umsatzsteuerpflicht des Klägers aus und wandte den regulären Steuersatz von 19 % an.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) verwies die Sache zur weiteren Aufklärung an das Finanzgericht (FG) zurück:

Die Umsätze aus der Vermietung des Rettungssimulators sind mangels Befreiungsvorschrift nicht umsatzsteuerfrei. Es kann aber der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 % anwendbar sein, wenn es sich bei dem Vermietungsbereich um einen Zweckbetrieb handelt, mit dem die Satzungszwecke des Klägers verwirklicht werden. Ob dies der Fall gewesen ist, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen. Dabei muss das FG insbesondere prüfen, ob der Kläger in unmittelbaren Wettbewerb zu nicht gemeinnützigen Unternehmern getreten ist.

Für die Umsätze aus dem Sicherheitstraining kommt die Umsatzsteuerfreiheit für Schulungsmaßnahmen in Betracht. Nach dem europäischen Mehrwertsteuerrecht erfordert dies aber einen beruflichen Bezug.

  • Verwenden alle Teilnehmer des Sicherheitstrainings die erworbenen Kenntnisse beruflich, ist die Umsatzsteuerfreiheit zu bejahen.
  • Verwenden jedoch nur einige Teilnehmer die erworbenen Kenntnisse für berufliche Zwecke, wird die Umsatzsteuerfreiheit nicht nur für die Umsätze, die mit diesen Teilnehmern erzielt werden, gewährt, sondern entweder ganz oder gar nicht. Eine vollständige Umsatzsteuerfreiheit ist zu bejahen, wenn die Schulung konkret geeignet ist, berufliche Kenntnisse zu erwerben oder zu erhalten; dies muss sich leistungsbezogen aus der Schulungsmaßnahme selbst ergeben, wenn z.B. die Kosten für das Sicherheitstraining von der Bundeswehr oder der Berufsgenossenschaft übernommen werden. Bei einem Sicherheitstraining für Motorräder sowie bei dem Sicherheitstraining für Senioren erscheint ein leistungsbezogener, beruflicher Zweck hingegen zweifelhaft.

Hinweise: Sollte die Umsatzsteuerfreiheit für das Fahrsicherheitstraining zu verneinen sein, könnte die Steuerfreiheit jedenfalls für Kurse gelten, an denen Jugendliche teilnahmen. Es müsste dann bei den Kursen um die Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Verkehrssicherheit gegangen sein. Dies setzt über die bloße Wissensermittlung hinaus voraus, dass soziale Kompetenzen und Werte vermittelt werden.

Die allgemeine Umsatzsteuerbefreiung für Unterricht greift im Streitfall nicht, weil beim umsatzsteuerfreien Unterricht ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen vermittelt werden muss. Weder ein Sicherheitsunterricht noch der allgemeine Fahrunterricht erfüllen diese Voraussetzungen, sondern stellen einen spezialisierten Unterricht dar. Der BFH hat bereits entschieden, dass auch der Schwimmunterricht, der Surf- und Segelunterricht für Universitäten oder der Fahrunterricht kein allgemeiner, umsatzsteuerfreier Unterricht sind, sondern Spezialunterricht und damit umsatzsteuerpflichtig sind.

Quelle: BFH, Urteil v. 17.11.2022 – V R 33/21 (V R 26/18); NWB

Kapitaleinnahmen bei Erfüllung einer Forderung durch Aufrechnung

Eine Forderung, die unter dem Nennwert erworben worden ist, kann auch dadurch erfüllt werden, dass der Schuldner mit einer gleich hohen Forderung, die er gegen den Steuerpflichtigen hat, gegenüber dem Steuerpflichtigen aufrechnet. Dies führt beim Steuerpflichtigen zu Einkünften aus Kapitalvermögen, soweit der Aufrechnungsbetrag höher ist als der für die Forderung gezahlte Kaufpreis. Diese Einkünfte unterliegen nach der bisherigen Rechtslage dem individuellen Steuertarif des Steuerpflichtigen, wenn es sich um eine Forderung gegen eine GmbH handelte, an der der Steuerpflichtige mit mindestens 10 % beteiligt ist.

Hintergrund: Zu den Kapitaleinkünften gehört u.a. auch der Gewinn aus dem Verkauf einer Forderung. Grundsätzlich unterliegen Kapitaleinkünfte der Abgeltungsteuer von 25 %. Die Abgeltungsteuer ist nach dem Gesetz aber in bestimmten Fällen ausgeschlossen, z.B. wenn die Kapitalerträge von einer GmbH stammen, an der der Steuerpflichtige zu mindestens mit 10 % beteiligt ist.

Sachverhalt: Der Kläger war an der M-GmbH mit 50 % beteiligt und erwarb im Jahr 2009 die weiteren 50 %, so dass er Alleingesellschafter wurde. Zugleich trat der bisherige Gesellschafter dem Kläger eine Forderung gegen die M-GmbH im Nennwert von 79.684 € ab. Hierfür zahlte der Kläger einen Kaufpreis von 1 €. Im Streitjahr 2013 rechnete die M-GmbH mit einer gleich hohen Forderung, die sie gegen den Kläger hatte, auf. Das Finanzamt setzte Kapitaleinkünfte in Höhe von 79.683 € an, indem sie die Aufrechnung als Erfüllung der Forderung des Klägers ansah und hiervon den gezahlten Kaufpreis von 1 € abzog. Die Einkünfte besteuerte sie mit dem individuellen Steuertarif des Klägers und lehnte die Anwendung der Abgeltungsteuer von 25 % ab.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die hiergegen gerichtete Klage ab:

  • Der Kläger hat eine Kapitalforderung im Nennwert von 79.684 € zum Kaufpreis von 1 € erworben, die im Streitjahr durch Aufrechnung erfüllt worden ist. Diese Erfüllung durch Aufrechnung stellt eine Rückzahlung dar und führt damit zu Kapitaleinkünften; denn der Begriff der Rückzahlung ist weit auszulegen und ist nicht auf Überweisungen beschränkt.
  • Der aus der Erfüllung resultierende Gewinn von 79.683 € unterliegt nicht der Abgeltungsteuer von 25 %, sondern dem individuellen Steuersatz des Klägers. Die Abgeltungsteuer ist nämlich bei Kapitalerträgen, die ein zu mindestens 10 % beteiligter GmbH-Gesellschafter von seiner GmbH erhält, ausgeschlossen.
  • Der Ausschluss der Abgeltungsteuer ist nicht davon abhängig, dass die Erfüllung der Forderung des Klägers bei der GmbH zu Aufwand geführt hat. Der Ausschluss der Abgeltungsteuer gilt also auch dann, wenn sich die Erfüllung der Forderung bei der GmbH erfolgsneutral ausgewirkt hat. Zwar wurde das Gesetz im Jahr 2020 geändert; diese Änderung galt aber noch nicht im Streitjahr 2013.

Hinweise: Im Streitfall wäre es für den Kläger vorteilhaft gewesen, wenn die Abgeltungsteuer anwendbar gewesen wäre. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Abgeltungsteuer nicht vorteilhaft ist, nämlich dann, wenn der Steuerpflichtige Verluste aus Kapitalvermögen erleidet; diese sind im Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer nämlich nicht absetzbar. Hier hat sich die Rechtslage seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2020 verschlechtert, weil die Berücksichtigung eines Verlustes eines mit mindestens 10 % beteiligten GmbH-Gesellschafters davon abhängig ist, dass die GmbH entsprechende Aufwendungen hat, die sie als Betriebsausgaben oder Werbungskosten geltend machen kann. Dies erschwert bei einem mit mindestens 10 % beteiligten GmbH-Gesellschafter den steuerlichen Abzug von Darlehensverlusten und gilt für Darlehen, die ab dem 1.1.2021 gewährt worden sind; für vor dem 1.1.2021 gewährte Darlehen gilt die Neuregelung erst ab dem Veranlagungszeitraum 2024.

Quelle: BFH, Urteil v. 30.11.2022 – VIII R 27/19; NWB

Spekulationsgewinn bei Verkauf eines teilweise vermieteten Eigenheims

Zwar führt der Verkauf einer selbstgenutzten Immobilie innerhalb der Spekulationsfrist nicht zu einem steuerpflichtigen Spekulationsgewinn. Soweit aber einzelne Zimmer der Immobilie tageweise an Dritte vermietet wurden, ist der Gewinn steuerpflichtig. Eine Bagatellgrenze gibt es nicht.

Hintergrund: Der Gewinn aus dem Verkauf einer im Privatvermögen befindlichen Immobilie führt zu einem steuerpflichtigen Spekulationsgewinn. Nach dem Gesetz werden selbst genutzte Immobilien von dieser Steuerpflicht grundsätzlich ausgenommen.

Sachverhalt: Die Kläger waren Eheleute und nutzten ein Reihenhaus, das sie im April 2011 gekauft hatten, selbst. Im Zeitraum 2011 bis 2017 vermieteten sie an 12 bis 25 Tagen pro Jahr zwei Zimmer im Dachgeschoss tageweise an Messegäste und erzielten hieraus Vermietungseinkünfte. Das Dachgeschoss hatte eine Fläche von etwa 35 qm, während das Reihenhaus eine Fläche von ca. 150 qm aufwies. Im Jahr 2017 verkauften die Kläger das Haus mit Gewinn und erhielten den Kaufpreis im Jahr 2018. Das Finanzamt behandelte den Gewinn im Umfang von 35/150 als steuerpflichtigen Spekulationsgewinn des Jahres 2018.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage im Grundsatz ab, verwies die Sache aber zur Berechnung des steuerpflichtigen Spekulationsgewinns an das Finanzgericht (FG) zurück:

  • Zwar ist das Reihenhaus innerhalb der zehnjährigen Spekulationsfrist mit Gewinn verkauft worden und der Veräußerungserlös im Jahr 2018 zugeflossen. Der erzielte Gewinn ist aber nicht steuerpflichtig, soweit das Reihenhaus zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden ist.
  • Für die Eigennutzung ist nicht erforderlich, dass die Immobilie dauerhaft selbstgenutzt wird, solange die Immobilie dem Steuerpflichtigen ständig zur Verfügung steht. Allerdings ist die Vermietung eines Teils der Immobilie insoweit keine Selbstnutzung mehr.
  • Die Vermietung der Zimmer im Dachgeschoss des Reihenhauses führt nicht zur vollständigen Steuerpflicht des Spekulationsgewinns, sondern nur zur anteiligen Steuerpflicht. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers und folgt aus der Gesetzesbegründung.
  • Maßstab für die Ermittlung des steuerpflichtigen Anteils ist das Verhältnis der Wohnflächen, d. h. der Anteil der zu fremden Wohnzwecken überlassenen Wohnfläche zur Gesamtwohnfläche. Dieser Anteil ist noch nicht genau ermittelt worden und muss nun vom FG im zweiten Rechtsgang aufgeklärt werden.

Hinweise: Der Begriff der Selbstnutzung wird im Rahmen der Prüfung eines steuerpflichtigen Spekulationsgewinns eher großzügig vom BFH ausgelegt. Denn von der Steuerpflicht ausgenommen sind auch Zweitwohnungen, Ferienwohnungen, die nicht vermietet werden, oder auch Wohnungen, die für eine doppelte Haushaltsführung genutzt werden. Ein Steuerpflichtiger kann daher mehrere Wohnungen haben, die er selbst nutzt. Auch ein häusliches Arbeitszimmer im selbstgenutzten Haus führt nicht zur Versagung der vollständigen Steuerfreiheit eines Spekulationsgewinns.

Das aktuelle Urteil ist ebenfalls erfreulich, weil eine teilweise Vermietung einer selbstgenutzten Immobilie nicht zur vollständigen Steuerpflicht des Spekulationsgewinns führt, sondern nur zu einer anteiligen Steuerpflicht.

Durch die Begünstigung selbstgenutzter Immobilien wird sichergestellt, dass ein Wohnsitzwechsel, z. B. wegen eines neuen Arbeitsplatzes, nicht zu einer steuerlichen Belastung führt, wenn die bisherige selbstgenutzte Immobilie innerhalb der Spekulationsfrist verkauft werden muss.

Quelle: BFH, Urteil vom 19.7.2022 – IX R 20/21; NWB

Solidaritätszuschlag noch verfassungsgemäß

Die Erhebung des Solidaritätszuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.1.2023 – IX R 15/20 entschieden.

Hintergrund: Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer. Der Solidaritätszuschlag wurde zunächst 1991 eingeführt. Als Sinn und Zweck der Erhebung sind damals die finanziellen Auswirkungen des Golfkriegs sowie die Mehrbelastungen resultierend aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wiedervereinigung angeführt worden. Dieser (erste) Solidaritätszuschlag betrug maximal 7,5 Prozent und war zeitlich bis zum 30.6.1992 befristet. Er wurde nicht verlängert, so dass er Mitte 1992 auslief.

Der geltende (zweite) Solidaritätszuschlag wird seit dem Jahr 1995 bis heute erhoben. Rechtsgrundlage ist das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 (SolZG 1995). Der Solidaritätszuschlag betrug von 1995 bis 1997 zunächst 7,5 Prozent, ab 1998 5,5 Prozent der festgesetzten Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Er wurde allen Steuerpflichtigen – sowohl in den alten wie auch in den neuen Bundesländern – entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit auferlegt, um in einem solidarischen finanziellen Opfer aller Bevölkerungsgruppen die deutsche Einheit zu finanzieren. Das Aufkommen steht allein dem Bund zu. Bis zum Jahr 2019 wurde der Solidaritätszuschlag kaum verändert.

Mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 (aus dem Jahr 2019) wurde der Zuschlag fortgeführt. Allerdings wurden aus sozialen und konjunkturellen Gründen rund 90 Prozent der Steuerpflichtigen ab dem Jahr 2021 von der Abgabenpflicht befreit. Nur Spitzenverdiener müssen seitdem die Ergänzungsabgabe noch entrichten. In der Begründung des Gesetzes wird ausgeführt, es bestehe weiterhin eine besondere wiedervereinigungsbedingte Finanzlast des Bundes, etwa in der Rentenversicherung, im Arbeitsmarkt, im Bereich der Anspruchs- und Anwartschaftsüberführung und im Hinblick auf besondere Leistungen für die ostdeutschen Bundesländer. In der Folge sank das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag von rund 19 Milliarden € im Jahr 2020 auf rund 11 Milliarden im Jahr 2021.

Sachverhalt: Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078 € und für das Jahr 2021 einen Vorauszahlungsbescheid über insgesamt 57 € Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem Finanzgericht hatte das klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim Bundesfinanzhof eingelegten Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags verstoße gegen das Grundgesetz. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung um eine verkappte „Reichensteuer“, die gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.

Entscheidung: Die Richter des BFH folgten dieser Argumentation nicht:

  • Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht geboten.
  • Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungsabgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist.
  • Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht verloren.
  • Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden.
  • Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen.
  • Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.
  • Der Solidaritätszuschlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.

Hinweis: Spannend bleibt, wie es weitergeht. Der unterlegene Kläger hat bereits angekündigt, Verfassungsbeschwerde gegen die Erhebung des Soli einzureichen. Das Bundesverfassungsgericht würde dann selbst die Verfassungsmäßigkeit des Soli prüfen. Wann mit einer solchen Entscheidung zu rechnen ist, ist zurzeit noch nicht absehbar.

Quelle: u.a. BFH, Pressemitteilung vom 30.1.2023 zum Urteil vom 17.1.2023 – IX R 15/20; NWB