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Spekulationsgewinn bei trennungsbedingtem Verkauf eines Einfamilienhauses

Der trennungsbedingte Verkauf des Miteigentumsanteils an den Noch-Ehegatten innerhalb der zehnjährigen Spekulationsfrist kann auch dann zu einem steuerpflichtigen Spekulationsgewinn führen, wenn mit dem Verkauf eine vom Noch-Ehegatten angedrohte Zwangsversteigerung verhindert werden soll. Ist der Steuerpflichtige vor dem Verkauf bereits ausgezogen, handelt es sich nicht um den Verkauf einer selbstgenutzten Immobilie, der steuerfrei wäre; dies gilt auch dann, wenn der Noch-Ehegatte und das gemeinsame Kind weiterhin in der Immobilie wohnen.

Hintergrund: Der Gewinn aus dem Verkauf von Immobilien des Privatvermögens stellt einen steuerpflichtigen Spekulationsgewinn dar, wenn der Verkauf innerhalb von zehn Jahren nach Anschaffung der Immobilie erfolgt ist. Nach dem Gesetz werden jedoch selbst genutzte Immobilien von dieser Steuerpflicht grundsätzlich ausgenommen.

Sachverhalt: Der Kläger erwarb 2008 zusammen mit seiner Ehefrau F ein Einfamilienhaus, das sie zusammen mit ihrem gemeinsamen Kind K bewohnten. Im Jahr 2015 zog der Kläger aus, während F und K in dem Haus wohnen blieben. F drohte die Zwangsversteigerung an, falls der Kläger seinen Miteigentumsanteil an dem Haus nicht an sie verkaufen würde. Im Jahr 2017 verkaufte der Kläger seinen Miteigentumsanteil an F mit Gewinn; die Ehe wurde im selben Jahr geschieden. Das Finanzamt erfasste einen steuerpflichtigen Spekulationsgewinn beim Kläger.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die hiergegen gerichtete Klage ab:

  • Der Kläger hat seinen Miteigentumsanteil an dem Haus innerhalb der zehnjährigen Spekulationsfrist mit Gewinn verkauft. Dieser Verkauf ist auch willentlich erfolgt, auch wenn der Kläger eine Zwangsversteigerung vermeiden wollte. Eine wirtschaftliche oder emotionale Zwangssituation ist für die Entstehung eines Spekulationsgewinns ohne Bedeutung.
  • Der Spekulationsgewinn entfällt auch nicht aufgrund einer Selbstnutzung des Hauses durch den Kläger. Nach dem Gesetz müsste die Selbstnutzung entweder zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung des Hauses oder aber im Jahr der Veräußerung und in den beiden Vorjahren erfolgt sein, damit der Spekulationsgewinn nicht steuerpflichtig ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
  • Der Kläger ist bereits vor der Veräußerung im Jahr 2017 ausgezogen, nämlich im Jahr 2015, und hat das Haus bis zum Verkauf nicht mehr selbstgenutzt. Die Nutzung des Hauses durch sein unterhaltsberechtigtes Kind ist keine Selbstnutzung des Klägers, wenn das Kind zusammen mit seiner Mutter F in dem Haus gewohnt hat. Das Kind gehörte damit nicht mehr zur Lebens- oder Wirtschaftsgemeinschaft des Klägers.

Hinweis: Das Urteil zeigt die Problematik einer Trennung, wenn die Spekulationsfrist noch nicht abgelaufen ist. Der Verkauf des Eigentumsanteils ist nämlich steuerpflichtig, wenn der Verkaufspreis höher ist als die Anschaffungskosten. Es empfiehlt sich in steuerlicher Hinsicht, den Verkauf früher durchzuführen, solange der Auszug noch nicht erfolgt ist.

Bei der Übertragung einer Immobilie im Rahmen einer Scheidung entsteht keine Grunderwerbsteuer.

Quelle: BFH, Urteil v. 14.2.2023 – IX R 11/21; NWB

Ablehnung eines Erlassantrags durch sachlich unzuständige Behörde

Die Ablehnung eines Erlassantrags durch eine sachlich unzuständige Behörde ist rechtswidrig und kann nicht dadurch geheilt werden, dass die sachlich und örtlich zuständige Behörde über den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid entscheidet. Vielmehr muss die sachlich und örtlich zuständige Behörde den Ablehnungsbescheid aufheben und selbst über den Erlassantrag entscheiden. Sollte sie den Erlassantrag ablehnen, kann der Antragsteller hiergegen Einspruch einlegen.

Hintergrund: Bei der Zuständigkeit wird zwischen der örtlichen und der sachlichen Zuständigkeit unterschieden. Bei der örtlichen Zuständigkeit geht es um die Frage, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden tätig werden darf, z.B. welches von mehreren Finanzämtern eines Bundeslandes die Einkommensteuer festsetzen darf. Bei der sachlichen Zuständigkeit geht es hingegen um die Frage, für welche Aufgaben eine Behörde überhaupt zuständig ist; so darf z.B. das Finanzministerium keinen Steuerbescheid erlassen.

Sachverhalt: Die Klägerin musste Kindergeld an die Familienkasse in Nordrhein-Westfalen zurückzahlen, weil ihr Kind die Ausbildung vorzeitig beendet hatte. Sie beantragte den Erlass der Rückzahlungsverpflichtung. Hierüber entschied der sog. Inkasso-Service Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit in Recklinghausen, der von der Bundesagentur in Arbeit für das Inkasso und Erlassanträge eingerichtet worden war. Der Inkasso-Service lehnte den Erlassantrag weitgehend ab. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, den die Familienkasse in Nordrhein-Westfalen zurückwies. Hiergegen klagte die Klägerin.

Entscheidung: Der BFH gab der Klägerin im Grundsatz Recht und hob den Ablehnungsbescheid des Inkasso-Service auf:

  • Der Inkasso-Service Familienkasse war für die Entscheidung über den Erlassantrag sachlich unzuständig. Er war nicht die ursprünglich zuständige Behörde, da dies die Familienkasse in Nordrhein-Westfalen war. Die Bundesagentur für Arbeit als Bundesbehörde war nicht berechtigt, die Aufgaben des Erhebungsverfahrens bundesweit bei der Inkasso-Service Familienkasse zu konzentrieren.
  • Der Fehler bei der sachlichen Zuständigkeit konnte nicht durch die Einspruchsentscheidung der sachlich und örtlich zuständigen Familienkasse in Nordrhein-Westfalen geheilt werden. Denn eine derartige Heilung ist nur bei Fehlern in der örtlichen Zuständigkeit möglich, nicht aber bei Fehlern in der sachlichen Zuständigkeit.
  • Eine Heilung des Fehlers ist nur in der Weise möglich, dass die sachlich und örtlich zuständige Familienkasse in Nordrhein-Westfalen als Einspruchsbehörde den rechtswidrigen Ablehnungsbescheid der Inkasso-Service Familienkasse aufhebt und nun selbst über den Erlassantrag entscheidet. Lehnt sie den Antrag ab, kann die Klägerin hiergegen Einspruch einlegen.

Hinweise: Der BFH hat bereits in der jüngeren Vergangenheit entschieden, dass die Übertragung der Aufgaben des Erhebungsverfahrens im Kindergeldrecht (Vollstreckung, Erlassanträge, Stundungsanträge) auf den Inkasso-Service Familienkasse rechtswidrig war. Hierfür fehlte nämlich eine gesetzliche Grundlage.

Das aktuelle Urteil zeigt nun auf, wie mit rechtswidrigen Ablehnungsbescheiden umzugehen ist: Sie müssen im Einspruchsverfahren aufgehoben werden, um anschließend eine erneute Entscheidung über den Erlassantrag zu ermöglichen.

Im Streitfall ist der Ablehnungsbescheid durch den BFH, der die Vorinstanz bestätigt hat, aufgehoben worden, so dass die Familienkasse in Nordrhein-Westfalen über den Erlassantrag entscheiden muss.

Quelle: BFH, Urteil v. 19.1.2023 – III R 2/22; NWB

Teilnahme eines Prüfers der Gemeinde an einer Außenprüfung des Finanzamts

Grundsätzlich darf ein Gemeindeprüfer an einer vom Finanzamt angeordneten und durchgeführten Außenprüfung, die auch die Gewerbesteuer betrifft, teilnehmen. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige Vertragsbeziehungen zu der Gemeinde unterhält und Sorge hat, dass der Gemeindeprüfer Einblick in die Kalkulation erhalten könnte. Diesem Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen kann dadurch Rechnung getragen werden, dass der Außenprüfer des Finanzamts während der Außenprüfung darüber entscheidet, welche Informationen er an den Gemeindeprüfer weitergibt.

Hintergrund: Nach dem Gesetz sind die Gemeinden berechtigt, an Außenprüfungen der Finanzämter, die die Gewerbe- oder Grundsteuer betreffen, teilzunehmen, wenn die Außenprüfung im Gemeindebezirk erfolgt und der Steuerpflichtige in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhält oder aber Grundbesitz hat.

Sachverhalt: Die Klägerin war eine im Einzelhandelsbereich tätige GmbH in der Gemeinde X. Sie verkaufte ihre Waren auch an die X. Das Finanzamt ordnete im August 2017 eine Außenprüfung bei der Klägerin an, die u.a. die Gewerbesteuer betraf. In der Anordnung teilte das Finanzamt mit, dass auch der Gemeindeprüfer an der Prüfung teilnehme. Die Klägerin wehrte sich gegen die Prüfungsanordnung mit der Begründung, die Gemeinde könne aufgrund der Teilnahme des Gemeindeprüfers Einblick in ihre Kalkulation erhalten, die ihren Lieferverträgen mit der Gemeinde sowie mit ihren anderen Kunden zugrunde liegt.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) hielt die Prüfungsanordnung für rechtmäßig und wies die Klage ab:

  • Die Gemeinde hat ein gesetzliches Teilnahmerecht an einer vom Finanzamt angeordneten Außenprüfung, wenn diese die Gewerbe- oder Grundsteuer betrifft. Daher ist eine Prüfungsanordnung rechtmäßig, in der der Gemeinde ein Teilnahmerecht eingeräumt wird.
  • Allerdings muss der Außenprüfer des Finanzamts aufgrund des Steuergeheimnisses darauf achten, dass der Gemeindeprüfer nur Informationen erlangt, die die Gewerbe- bzw. Grundsteuer betreffen.
  • Soweit der Steuerpflichtige ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse dahingehend hat, dass die Gemeinde von bestimmten Daten oder Unterlagen nichts erfährt, kann dieses Geheimhaltungsinteresse während der Außenprüfung berücksichtigt werden. So kann der Steuerpflichtige dem Prüfer des Finanzamts konkret mitteilen, welche Unterlagen und Daten dem Gemeindeprüfer nicht offenbart werden sollen. Der Außenprüfer kann dann die Unterlagen und Daten des Steuerpflichtigen in qualitativer Weise auf ihre Vertragssensibilität prüfen und entscheiden, welche Informationen er dem Gemeindeprüfer mitteilt.
  • Sollte sich der Finanzamtsprüfer für eine Weitergabe der – vom Steuerpflichtigen als geheimhaltungsbedürftig angesehenen – Informationen an den Gemeindeprüfer entscheiden, muss er dies durch einen Verwaltungsakt (Bescheid) entscheiden und diesen begründen. Der Steuerpflichtige kann dann gegen den Bescheid Einspruch einlegen und sich hiergegen auch im einstweiligen Rechtsschutz wehren.

Hinweise: Auch wenn die Klägerin verloren hat, bedeutet dies nicht, dass ihr Geheimhaltungsinteresse irrelevant ist. Die Klägerin muss zwar zunächst die Prüfungsanordnung hinnehmen, kann während der Prüfung aber den Prüfer informieren, welche Unterlagen und Daten sie als geheimhaltungsbedürftig ansieht. Der Prüfer entscheidet dann darüber, ob er diese Unterlagen und Daten der Gemeinde offenbart oder nicht. Falls er die Auffassung des Steuerpflichtigen nicht teilt, muss er diese Entscheidung durch Bescheid treffen, so dass sich der Steuerpflichtige hiergegen rechtlich wehren kann, und zwar auch vorab, wie der Hinweis des BFH auf den einstweiligen Rechtsschutz zeigt.

Einen generellen Ausschluss des Teilnahmerechts der Gemeinde in der Prüfungsanordnung wegen der Vertragsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Gemeinde lehnt der BFH aber ab, weil dies zu einer faktischen Aushöhlung des gesetzlich geregelten Teilnahmerechts der Gemeinde führen würde. Die Gemeinde müsste ansonsten Vertragsbeziehungen zu den Unternehmen ihrer Gemeinde unterlassen, um einen Ausschluss ihres Teilnahmerechts zu vermeiden; mit einer derartigen Unterlassung würde sie aber gegen ihre eigenen Interessen verstoßen.

Quelle: BFH, Urteil v. 20.10.2022 – III R 25/21; NWB

Anfechtung einer Zinsfestsetzung mit fehlerhaftem Zinslauf

Der Steuerpflichtige muss eine Zinsfestsetzung, der ein fehlerhafter Zinslauf zugrunde gelegt worden ist, mit einem Einspruch anfechten. Es genügt nicht, dass er die Einkommensteuerfestsetzung angreift. Unterlässt er die Einlegung eines Einspruchs, kann die Zinsfestsetzung nur korrigiert werden, wenn eine Korrekturvorschrift dies zulässt.

Hintergrund: Die Höhe der Zinsfestsetzung richtet sich grundsätzlich nach der Einkommensteuer. Die Zinsfestsetzung hängt aber auch von der Dauer des Zinslaufs ab. In der Regel beginnt der Zinslauf 15 Monate nach dem Ende des Veranlagungszeitraums, also z.B. für den Veranlagungszeitraum 01 am 1.4.03; allerdings gibt es derzeit coronabedingte Verschiebungen des Beginns des Zinslaufs. Wird die Einkommensteuer wegen eines rückwirkenden Ereignisses geändert, beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist; diese Regelung gilt seit dem Veranlagungszeitraum 2013 aber nicht bei der Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrags aufgrund der Nichtdurchführung der Investition.

Sachverhalt: Der Kläger bildete in den Streitjahren 2007 und 2008 jeweils einen Investitionsabzugsbetrag, führte jedoch in den folgenden drei Jahren die Investition jeweils nicht durch. Das Finanzamt machte daraufhin beide Investitionsabzugsbeträge rückgängig und änderte am 6.5.2013 die Steuerbescheide für 2007 und 2008 entsprechend. Zugleich setzte es Nachzahlungszinsen fest: Dabei legte das Finanzamt den Beginn des Zinslaufs auf den 1.4.2009 (für 2007) und auf den 1.4.2010 (für 2008) fest. Der Kläger legte innerhalb der Einspruchsfrist Einspruch „gegen die Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer“ ein. Am 30.12.2013 wandte er sich auch gegen die Zinsfestsetzung. Der Einspruch hatte keinen Erfolg, so dass der Kläger die Änderung der Zinsfestsetzung beantragte.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage auf Änderung der Zinsfestsetzung ab:

  • Allein die Anfechtung der Einkommensteuerfestsetzung führte nicht zu einer Änderung der Zinsfestsetzung. Zwar ist die Höhe der Einkommensteuer maßgeblich für die Höhe der Zinsen; die Einkommensteuerfestsetzung hat aber keine Bindungswirkung für den Beginn des Zinslaufs.
  • Eine Korrektur der Zinsfestsetzung hätte eine Korrekturvorschrift vorausgesetzt, die es im Streitfall aber nicht gab. So schied eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit aus, weil das Finanzamt bewusst den regulären Zinsbeginn, der 15 Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraums beginnt, in dem Zinsbescheid angesetzt hat. Bei einer bewussten Rechtsanwendung liegt keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne eines Schreib- oder Rechenfehlers vor. Weitere Korrekturvorschriften waren nicht einschlägig.
  • Der Einspruch hätte zwar eine Minderung der Einkommensteuer bewirken können, weil nach damaliger Rechtslage bei einem rückwirkenden Ereignis wie der Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrags der Zinslauf möglicherweise erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist, begann; dies wäre der 1.4.2012 für den Investitionsabzugsbetrag des Jahres 2007 und der 1.4.2013 für den Investitionsabzugsbetrag des Jahres 2008 gewesen. Aber der Einspruch des Klägers richtete sich nur gegen die Einkommensteuerfestsetzung sowie gegen den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer, nicht jedoch gegen die Zinsfestsetzung. Erst nach Ablauf der Einspruchsfrist, nämlich am 30.12.2013, wandte sich der Kläger gegen die Zinsfestsetzung.

Hinweise: Der Fall zeigt, dass im Zweifel auch gegen die Zinsfestsetzung Einspruch eingelegt werden sollte. Ein Einspruch kann gebührenfrei eingelegt werden, da der Staat keine Gebühren bei Einlegung eines Einspruchs erhebt.

Seit dem Veranlagungszeitraum 2013 beginnt der Zinslauf bei Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrags 15 Monate nach dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Investitionsabzugsbetrag gebildet worden ist. Für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 beläuft sich der Zinssatz nur noch auf 1,8 % und nicht mehr auf 6 %.

Quelle: BFH, Urteil v. 13.12.2022 – VIII R 16/19; NWB

Keine gesetzliche Zugangsvermutung eines Bescheids bei nicht täglicher Postzustellung

Nutzt das Finanzamt für die Bekanntgabe von Bescheiden einen privaten Postdienstleister, der nur an fünf Tagen in der Woche die Post zustellt, greift die gesetzliche Zugangsvermutung nicht, nach der ein Bescheid am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Die Einspruchsfrist beginnt dann erst mit Ablauf des Tages, an dem der Bescheid tatsächlich bekannt gegeben wird.

Hintergrund: Nach dem Gesetz gilt ein Bescheid, der durch die Post übermittelt wird, als am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, es sei denn, er ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Im Zweifel hat das Finanzamt den Zugang des Bescheids und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Sachverhalt: Das Finanzamt erließ mit Datum vom 15.6.2018, einem Freitag, einen Einkommensteuerbescheid für 2017 gegenüber der Klägerin. Mit der postalischen Übermittlung des Bescheids beauftragte das Finanzamt den privaten Postdienstleister C. Die Klägerin kehrte am 19.6.2018, einem Dienstag, aus ihrem Urlaub zurück. Sie fand den Bescheid in ihrem Briefkasten vor und übermittelte ihn an ihren Steuerberater, der am 19.7.2018, einem Donnerstag, Einspruch beim Finanzamt einlegte und weitere Werbungskosten geltend machte. Das Finanzamt hielt den Einspruch für verfristet, weil nach seiner Auffassung die Einspruchsfrist am 18.7.2018 geendet hatte.

Entscheidung: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) hielt den Einspruch für zulässig und hinsichtlich der geltend gemachten Werbungskosten auch für begründet:

  • Die gesetzliche Zugangsvermutung, nach der der Bescheid vom 15.6.2018 als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, greift im Streitfall nicht, da die C die Post nicht an sechs Tagen in der Woche zugestellt hat, sondern nur an fünf Tagen.
  • An der Aufgabe zur Post am 15.6.2018 bestehen zwar keine Zweifel, da das Finanzamt dargelegt hat, dass sichergestellt war, dass der schon vor dem 15.6.2018 erstellte Bescheid am 15.6.2018 der C übergeben wird. Auch ist die C als Post anzusehen, weil auch private Postdienstleistungsunternehmen als Post einzustufen sind.
  • Die gesetzliche Zugangsvermutung greift allerdings nicht, wenn die Post oder der private Postdienstleister die Post regelmäßig nicht an allen Werktagen (Montag bis Sonnabend) zustellt, sondern – wie im Streitfall – nur an fünf Tagen eine Postzustellung durchführt.
  • Es erscheint möglich, dass der Bescheid der Klägerin erst am 19.6.2018 bekannt gegeben worden ist, so dass der Einspruch rechtzeitig erhoben worden ist. Nach den Aussagen der Zeugen, die das FG vernommen hat, wurde die Post des Finanzamts am Sonnabend, dem 16.6.2018, im Zustellzentrum der C, das 140 km vom Finanzamt entfernt war, angeliefert und dann erst wieder am Dienstag, dem 19.6.2018, angeliefert. Am 18.6.2018 wurde nur die Post ausgetragen, die am 16.6.2018 angeliefert wurde und an diesem Tag nicht mehr zugestellt wurde.
  • Inhaltlich gab es keinen Streit über die geltend gemachten Werbungskosten, so dass der Einspruch auch begründet war.

Hinweise: Das FG sah es als unschädlich an, dass die Klägerin den Briefumschlag nicht aufgehoben hatte. In der Praxis sollte ein Briefumschlag aber vorsorglich aufgehoben werden, erst recht, wenn sich hieraus ergibt, dass der Bescheid erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben worden sein könnte.

Mit der Postzustellung verhält es sich aktuell wie mit der Bahn: Beide werden zunehmend unzuverlässiger. Möglicherweise wird dieses Problem im Bereich der Bekanntgabe von Steuerbescheiden durch die elektronische Übermittlung oder durch die Bereitstellung von Bescheiden zum Datenabruf gemindert; soweit aber eine postalische Bekanntgabe erfolgt, „wackelt“ die gesetzliche Zugangsvermutung von drei Tagen nach Aufgabe zur Post. Gleichwohl sollte nicht darauf vertraut werden, dass die Einspruchsfrist erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnt, sondern der Einspruch frühzeitig – ggf. ohne Begründung – erhoben werden, zumal eine Einspruchseinlegung per E-Mail zulässig ist.

Quelle: FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24.8.2022 – 7 K 7045/20; NWB