Bewertung von Rückstellungen in der Handels- und Steuerbilanz
Eine Rückstellung in der Steuerbilanz darf nicht höher bewertet werden als eine Rückstellung in der Handelsbilanz. Hat der Unternehmer jedoch in seiner Handelsbilanz ein sog. Beibehaltungswahlrecht ausgeübt, das es ihm einmalig ermöglicht, von einer teilweisen Auflösung seiner Rückstellung in der Handelsbilanz abzusehen und den höheren Wert beizubehalten, gilt dieser höhere Wert auch als Obergrenze für die Steuerbilanz.
Hintergrund: Der Gesetzgeber hat im Jahr 2009 das Bilanzrecht modernisiert. Die Neuregelungen waren grundsätzlich zum 31.12.2010 anzuwenden. Dies konnte bei Rückstellungen in der Handelsbilanz zu niedrigeren Werten führen, weil Rückstellungen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr nunmehr abzuzinsen waren und weil Rückstellungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags angesetzt werden mussten. Kaufleute konnten jedoch von einer gewinnerhöhenden Minderung ihrer Rückstellungen absehen, wenn der aufzulösende Rückstellungsbetrag spätestens bis zum 31.12.2024 wieder zugeführt werden musste (sog. Beibehaltungswahlrecht).
Sachverhalt: Die Klägerin hatte Deponien betrieben und musste diese noch rekultivieren. Sie hatte für diese Nachsorgeverpflichtungen zum 31.12.2009 Nachsorgerückstellungen gebildet. Zum 31.12.2010, dem streitigen Bilanzstichtag, waren diese Rückstellungen aufgrund der Reform des Bilanzrechts in der Handelsbilanz niedriger zu bewerten und teilweise, nämlich in Höhe von fast 3 Mio. €, aufzulösen. Die Klägerin machte allerdings von ihrem Beibehaltungsrecht Gebrauch und behielt die bisherige Höhe der Rückstellungen von ca. 11 Mio. € bei. Das Finanzamt war der Auffassung, dass in der Steuerbilanz nur ein Wert von maximal 8 Mio. € angesetzt werden könne. Den sich hieraus ergebenden Gewinn von ca. 3 Mio. € neutralisierte das Finanzamt in Höhe von 14/15 durch eine Rücklage, die in den folgenden 14 Jahren gewinnerhöhend aufzulösen war.
Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage im Grundsatz statt, verwies die Sache aber zur weiteren Ermittlung an das Finanzgericht (FG) zurück:
- Der handelsbilanzielle Wert der Rückstellung bildet die Obergrenze für den steuerlichen Rückstellungswert. Daher darf der Steuerbilanzwert nicht über den handelsbilanziellen Wert hinausgehen.
- Der handelsbilanzielle Wert ist im Streitfall der höhere Wert von 11 Mio. €, weil die Klägerin von ihrem Beibehaltungsrecht Gebrauch gemacht hat und sich gegen eine teilweise Auflösung der handelsbilanziellen Rückstellung entschieden hat.
- Das Beibehaltungswahlrecht ist ein sog. intertemporales Recht, das nur einmalig aufgrund der Reform der Bilanzrechts ausgeübt werden konnte. Es ist daher steuerlich maßgeblich und führt somit zu einem höheren Steuerbilanzwert.
- Allerdings ist es denkbar, dass die Steuerbilanzrückstellung niedriger ist als die handelsbilanzrechtliche Rückstellung, weil im Steuerrecht noch besondere Bewertungsregeln für Rückstellungen gelten. Das FG muss nun überprüfen, ob diese speziellen steuerlichen Regeln anzuwenden sind, so dass sich in der Steuerbilanz ein niedrigerer Wert als der handelsbilanzrechtliche Wert von 11 Mio. € ergibt.
Hinweise: Für die Unternehmer ist das Urteil erfreulich, weil es zu einer höheren Rückstellung in der Steuerbilanz ab dem 31.12.2010 führt, wenn das handelsbilanzrechtliche Beibehaltungswahlrecht ausgeübt wird.
Im Übrigen bleibt der BFH bei seiner Auffassung, dass in der Steuerbilanz stets der niedrigere Wert der beiden Rückstellungswerte – Handels- oder Steuerbilanz – anzusetzen ist.
Die Finanzverwaltung hat im Fall der gewinnerhöhenden Minderung von Rückstellungen infolge der Bilanzrechtsreform im Jahr 2009 die Möglichkeit eingeräumt, den sich aus einer Minderung der Rückstellung ergebenden Gewinn durch Bildung einer Rücklage über insgesamt 15 Jahre zu verteilen.
Quelle: BFH, Urteil v. 9.3.2023 – IV R 24/19; NWB